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zwei, aber ihre Freude und sein Ärger mit seinen El-
tern waren deshalb nicht kleiner als bei einem üppi-
gen Strauß. Sie hatten Honig aus Phlox- und Flie-
derblüten gesaugt, das weiße Mark abgeschälter
Fliederzweige gekaut – für Kaugummi hatten sie
kein Geld. Unsichtbar für alle Erwachsenen hock-
ten sie unter den tiefhängenden Zweigen der Flie-
derbüsche, waren Zwerge und Riesen, Ritter, Prin-
zessinnen, arme Waisen und Ungeheuer. Von den
Beeten hoben sie Stein für Stein der altmodischen
Einfassungen an. Auf dem Bauch liegend verfolgten
ihre Augen Kellerasseln und Ohrenkneifer. Amei-
sen verschwanden in dunklen Gängen, in denen sie
herumstocherten und winzige Eier ans Tageslicht
holten.
Die meisten Spinnen gab es unter dem Ziersims
rund ums Haus. Sie rissen ihnen ein Bein aus, ein
zweites, drittes, wollten sehen, mit wie vielen sie
weiterkrabbeln konnten. Vieles entdeckten sie, aber
nicht einen Zwerg, obwohl sie sogar in Mauselö-
chern forschten. Und immer leuchtete der Himmel,
denn bei Regen mussten sie im Haus bleiben, ihr
einziges Paar Schuhe durfte nicht nass werden. Mit
sechs zeigten sie sich ihr Geschlecht, voll Neugier,
gegenseitigem Vertrauen und schlechtem Gewissen –
oder war es Scham? Nicht mal die Namen kannten
sie für das, was sie unterschied. Es gab eine Menge
Fragen. Einige beantworteten ihre Eltern, manche
ihre Freundinnen, andere die Zeit. Viele blieben of-
fen. Christa, ahnungslos bis zum sechsten Monat,
musste in der zehnten Klasse wegen ihrer Schwan-
gerschaft die Oberschule verlassen.