Seite 84 - Raabe_inspiriert

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Kindern kurz nach seinem Tod. Sie kaufte von dem
Erbe die Gastwirtschaft in Knackerode, die meine
Tante später führte.“
„Die musste doch auch in den 70er Jahren aufge-
ben, weil dort eine Autobahn gebaut wurde, oder?
Jedenfalls klagte sie immer, dass die Entschädigung
man gerade für die Aufbesserung ihrer Rente reich-
te. Ihr scheint kein Glück mit Kneipen zu haben …“
Weitere Fotos wanderten durch ihre Finger.
„Wer ist der hier?“ Anna zeigte auf einen rotzfre-
chen Bengel in Pluderhosen in den Pfützen einer
Stadtstraße.
„Das ist Wilhelm, der Bruder von August, also
mein … Großonkel. Das war eine schillernde Figur,
warte mal …“ Nach einigem Suchen hatte ich den
älteren Wilhelm in den Händen. Er stand in Arbeits-
kleidung an einen Karren mit Säcken gelehnt und
grinste über das ganze Gesicht, in der Hand eine
Zeitung.
„Das ist ja auch so ein Hübscher!“
„Ja, der blieb auch hübsch. Er hat sich nicht zum
Ersten Weltkrieg gemeldet, sondern gegen den Krieg
agitiert. Der war ein ganz Roter, seine Kinder auch.
Später sind sie vor den Nazis ins Ausland geflohen
und haben im Untergrund gearbeitet.“
„Gibt’s von dem noch mehr Fotos?“
„Ich schaue gerade, aber es sieht nicht so aus. Er
hatte eine Tochter, Clara. Die hatten keinen guten
Stand in unserer Familie, die politisch eher vom an-
deren Ufer war. Mein Onkel Walter hatte das Hitler-
bild schon vor der Machtüber­nahme im Wohnzim-
mer hängen.“