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III
Baugeschichte
trum,
und Anregungen zur Konzeption einer wel-
schen Haube nach Krakauer Exempel kamen mög-
licherweise mit der polnischen Prinzessin Sophie,
die 1556 Herzog Heinrich „des Jüngeren“ Gemah-
lin wurde,
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nach Wolfenbüttel. Schon der Vater der
neuen Wolfenbütteler Herzogin, König Sigismund I.
von Polen (*1467; 1506-1548), und ihr Bruder, König
Sigismund II. August von Polen (*1520; 1548-1572)
hatten in Krakau von oberitalienischen Renaissance-
architekten eine Reihe von Sakral- und Profanbauten
errichten lassen. Die Verbindung ins nördliche Italien
geht
vermutlich auf Herzogin Sophies Mutter Bona
(1494-1557), die dem Mailänder Herzogsgeschlecht
der Sforza entstammte, zurück.
Einflüsse und Anregungen mögen jedoch auch
vom Berliner Kurfürstenhof gekommen sein. Die
Halbschwester Herzogin Sophies, Hedwig (1513-
1573), war mit dem bereits erwähnten Brandenburgi-
schen Kurfürsten Joachim II. Hector verheiratet wor-
den. Dieser hatte im Jahr 1538 mit dem Bau eines
neuen Schlosses in Berlin beginnen lassen, dessen
bauleitender Architekt, Caspar Theiss (~1510-~1550),
aus dem Umkreis der Torgauer Schlossbauhütte des
Konrad Krebs (1492-1540) stammte. Ein weiteres
mögliches Vorbild für die Wolfenbütteler Schloss-
kapelle stellt schließlich die Kapelle der herzog-
lichen bayerischen Stadtresidenz in Landshut dar,
die der Herzog 1542 kennengelernt hatte, als er
auf der Flucht vor den protestantischen Fürsten des
Schmalkaldischen Bundes dort Unterschlupf fand.
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Die Konzeption der Schlosskapelle als Zentralbau
auf quadratischem Grundriss mit erhöhtem Erdge-
schoss findet sich gleichermaßen in Landshut wie in
Wolfenbüttel. Es scheint übrigens denkbar, dass das
bereits bestehende, schön gewölbte Untergeschoss
nach 1547 als Erbbegräbnis benutzt werden sollte.
Dieser Plan wurde nicht verwirklicht – vielleicht,
weil man im Jahr 1553, noch vor dem Baubeginn
der Kapellenanlage, dringend eine Begräbnisstätte
für die Söhne des Herzogs, Karl Victor und Philipp
Magnus, die in der Schlacht von Sievershausen ums
Leben gekommen waren, benötigte.
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Man setzte die
beiden jungen Herzöge schließlich auf der Südseite
der Marienkirche bei.
Gestützt auf die Untersuchungen Friedrich Thö-
nes galt der lombardische Architekt Francesco Chi-
amarella (oder Chiamaralla) de Gandino, der beim
Ausbau der Festungsanlagen tätig war, als Architekt
der Schlosskapelle.
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Doch die Annahme, der Ent-
wurf der Schlosskapelle gehe auf ihn zurück, wur-
de durch Forschungen Wolf-Dieter Mohrmanns aus
den Jahren 1976 und 1977 entkräftet.
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Der welsche
Baumeister kam im Februar 1559 nach Wolfenbüttel
– die Datierung des oben genannten Eckturmes im
Dachbereich der Kapelle (1558) zeigt jedoch, dass
der Bau bereits ein Jahr vor Ankunft des Italieners
weitgehend fertiggestellt gewesen sein mag. Der oder
Das erste umfangreiche Bauvorhabenwar vermut-
lich die Erneuerung des älteren Saalbaues, der unter
der Belagerung von 1542 erheblich gelitten hatte. Die
Neugestaltung betraf vor allem den durch ein System
von Lisenen und Gesimsen verblendeten Südgiebel
und den seitlich des Giebels angefügten Erker, des-
sen Haube noch heute sichtbar ist. Der sogenannte
Wolfgangbau des Bernburger Schlosses mit seinen
„Leuchten“, wie die Erker auch genannt werden, so-
wie der Stechbahnflügel des Berliner Stadtschlosses
von Kurfürst Joachim II. Hector (*1505; 1535-1571),
könnten als Vorbilder für die Erneuerungsarbeiten am
Saalbau gedient haben.
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An den Schäften der Lisenen
sind die für die Bauzeit unter Herzog Heinrich „dem
Jüngeren“ typischen kassettierten Vertiefungen zu
sehen. Zur Erschließung der drei Geschosse versah
man den Saalbau auf der Ostseite mit einem Trep-
penturm auf quadratischer Grundfläche, dessen Au-
ßenwände größtenteils noch heute erhalten sind. In
seinem Inneren verband eine vierläufige Treppe mit
Wendepodesten den Saal im Erdgeschoss (an dessen
Stelle sich der heutige Renaisssancesaal befindet) mit
dem darüber liegenden Rittersaal und den Gemä-
chern im zweiten Obergeschoss. Auf der Südseite er-
richtete man in der Regierungszeit von Herzog Julius
einen winkelförmigen Anbau, in dem ein Laborato-
rium untergebracht wurde.
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In seinem Erdgeschoss-
raum befindet sich noch heute die einzige Säule des
Schlosses, die der Frührenaissance zugeordnet wer-
den kann. Möglicherweise bildet sie den Rest einer
geplanten Loggia (Säulenhalle) am Südflügel (E).
Ein weiteres Bauvorhaben war die Errichtung der
Schlosskapelle (F) zwischen „Tiergartenbau“ (H) und
dem Ostflügel (A), deren massiver Zentralbau einen
kräftigen optischen Gegenakzent zum hochaufragen-
den Hausmannsturm bildete. Einen Anhaltspunkt für
die Entstehungszeit der Ende des 18. Jahrhunderts
niedergerissenen Schlosskapelle, bei deren Errich-
tung man auf mittelalterliche Substanz zurückgriff,
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gibt einer ihrer noch heute erhaltenen oktogonalen
Ecktürme, auf dem die Datierung „1558“ zu lesen
ist.
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Auch der erwähnte Treppenturm, die südliche
Giebelfront des Saalbaues mit seinem achteckigen
Erker und der Ostflügel stehen mit ihren Gliede-
rungsformen (kassettierte Lisenen und Fenstergewän-
de) in engem architektonischen Zusammenhang zur
Schlosskapelle (F). Das kassettierte Tonnengewölbe
der Schlosseinfahrt gehört stilistisch ebenfalls zu die-
ser Bauphase.
Weithin sichtbarer Blickfang des neuen Sakral-
baus bildete seine „Welsche Haube“, eine kühn ge-
schwungene Dachkonstruktion, die durch eine zwei-
fach gestufte, achteckige Laterne bekrönt wurde.
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Eine
ähnliche Dachform zeigt auch der sogenannte Sigis-
mundturm des Wawel, das Krakauer Königsschloss.
Die alte polnische Hauptstadt bildete in jenen Tagen
ein wichtiges nordosteuropäisches Renaissance-Zen-