STADT WOLFSBURG
sich etwa der Gifhorner NSDAP-Kreisleiter Ernst Lütge her-
vor, der 1943 im Volkswagenwerk den sowjetischen
Kriegsgefangenen Iwan Tereschenko während eines Ver-
hörs in vermeintlicher Notwehr erschoss. Darüber hinaus
brachten fanatisierte Nationalsozialisten abgeschossene
amerikanische Flieger um.
Die zahlenmäßig größte Gruppe der Todesopfer bilde-
ten aber die Neugeborenen, die vom Sommer 1943 an von
ihren aus Polen und der Sowjetunion stammenden,
Zwangsarbeit leistenden Müttern getrennt und in einer
von den Wirtschaftsbetrieben des Volkswagenwerks be-
triebenen Einrichtung untergebracht wurden. Nachdem
Kinder aus dem gesamten Landkreis Gifhorn aufgenom-
men worden waren, wurde das anfänglich im „Ostlager“
eingerichtete „Ausländerkinderpflegeheim“ auf 120 Plätze
erweitert und in das „Gemeinschaftslager“ verlegt. Dort
kam es infolge unzureichender Ernährung und einer Gas-
troenteritis zu rasch ansteigenden Todeszahlen. Im Juli
1944 zog die Kindereinrichtung nach Rühen um, wo die
Versorgung und die hygienischen Zustände nicht besser
waren, so dass die Mortalität fast 100 Prozent erreichte.
Insgesamt starben 365 Säuglinge.
Derweil kümmerte sich die Stadtverwaltung nach Kräf-
ten um Schulgründungen für die mehr als 1.400 deutschen
Schulkinder sowie um die Einrichtung der Stadtbücherei
und der Städtischen Musikschule. Obwohl die Stadt ein
Torso blieb, etablierte sich insoweit eine kommunale Struk-
tur, als am 13. Januar 1943 die Einführung der Ratsherren
erfolgte. Erst als die amerikanischen Truppen am 11. April
1945 die „Stadt des KdF-Wagens“ erreichten und die große
Zahl ausländischer Zwangsarbeiter befreiten, fand diese
Doppelgesellschaft ihr Ende.
LITERATUR
Matthias Bordtmann: Geschichte Vorsfeldes. Bd. 2: Der Wandel des Ortes im 20.
Jahrhundert, Wolfsburg 1995
Heinz-Günter Gutmann: Gifhorn im Zeichen von Blut und Boden. Nationalsozia-
lismus im Landkreis Gifhorn, Gifhorn 1991
Hans Mommsen, Manfred Grieger: Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im
Dritten Reich, Düsseldorf 1996
Klaus-Jörg Siegfried: Das Leben der Zwangsarbeiter im Volkswagenwerk 1939 –
1945, Frankfurt/M.; New York 1988
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