Seite 13 - Zwangsarbeit

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die gnadenlose Ausbeutung von Zwangsarbeitern in Kauf genommen, und dies bis hin zur
‚Vernichtung durch Arbeit’, vor allem bei jüdischen KZ-Häftlingen. Dies gilt besonders für
die letzte Kriegsphase seit 1944, in der vermehrt jüdische KZ-Häftlinge auch in Braun-
schweiger Firmen eingesetzt wurden. Karl Liedke und Heike Petry berichten über zwei
Beispiele für diese fürchterlichste Form von Zwangsarbeit: bei der Firma Büssing als größ-
tem Braunschweiger Arbeitgeber und bei der Firma Steinöl GmbH in Schandelah.
Das Kapitel schließt ab mit der Darstellung des Systems von Überwachen und Strafen.
Es reichte von Disziplinarmaßnahmen in den Betrieben über die Einweisung in ein Arbeits-
erziehungslager bis hin zur Einlieferung in Konzentrationslager und zu Hinrichtungen durch
die Gestapo. Zwangsarbeiter wurden auch vor Gerichte gestellt, bei leichteren Delikten vor
die Amtsgerichte. Bei Verstößen gegen die Kriegswirtschaftsverordnung, bei sexuellen Bezie-
hungen zu Deutschen, bei „Plünderungen“ und bei Verstößen gegen die „Volksschädlings-
verordnungen“ kamen sie vor das Sondergericht Braunschweig (Hans-Ulrich Ludewig).
Im letzten Teil des Buches kommen in Kapitel fünf in ganz unterschiedlicher Form die
Überlebenden des damaligen Geschehens selbst zu Wort. Die Auswertung von Frage-
bögen, die an ehemalige zivile Zwangsarbeiter aus Polen, aus der Ukraine und Weißruss-
land versandt wurden, ermöglicht die Erstellung einer Kollektivbiographie von Zwangsar-
beitern aus Osteuropa (Joachim Schmid). Interviews mit Überlebenden des KZ-Außenla-
gers Schillstraße, die Karl Liedke in Israel geführt hat, erbrachten neue Erkenntnisse über
die damaligen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Sie liefern auch eindrucksvolle Informa-
tionen über das Weiterleben nach 1945, erzählen von häufig recht erfolgreichen Lebens-
läufen und psychischen Gefährdungen. Joana Liedke hat diese Interviews für die Druck-
legung bearbeitet. Als sehr ergiebig erwiesen sich die Gespräche mit deutschen Zeitzeugen.
In der Kriegszeit Erlebtes, durch vielerlei individuelle und kollektive Faktoren geprägte
Erinnerung und heutige Deutungsmuster vermitteln einen Einblick in den Umgang von
deutschen Zeitzeugen mit dem Erinnerungskomplex Zwangsarbeit im Nationalsozialismus
(Anke Menzel-Rathert). Zugunsten dieses Aspektes wurden Erinnerungen von Westeuro-
päern zurückgestellt, zumal für die Industrie um die Landeshauptstadt Braunschweig als
Zentrum der braunschweigischen Rüstungsindustrie vor allem Polen und Sowjetbürger
arbeiteten. Petra Diestelmann zeichnet für das umfangreiche und informative Register ver-
antwortlich, mit dem eine solche Darstellung erst richtig zu nutzen ist.
Nicht alle Aspekte konnten erforscht werden. Erst vor dem Hintergrund der nun für
das Land Braunschweig vorliegenden Analyse wird ersichtlich, an welcher Stelle weite-
re Einzelstudien in die Tiefe gehen könnten. Quellen über kommunale Arbeitgeber wie
zum Beispiel die Städte Braunschweig oder Helmstedt sind bisher kaum in die Stadtar-
chive gelangt. Um nähere Einsichten in die betriebliche Hierarchie von Deutschen und
Ausländern und in die immer wieder während des Krieges neu improvisierte Organisa-
tion der Arbeits- und Produktionsabläufe zu gewinnen, müssten weitere Firmenarchive
erschlossen werden. Das Thema des Buches beschränkte sich auf die Kriegszeit. Des-
halb wurde das Leben der Zwangsarbeiter in der unmittelbaren Nachkriegszeit als
„displaced persons“ nur am Rande einbezogen. Zu einer Geschichte der Nachwirkun-
gen von Zwangsarbeit müssten auch Wiedergutmachungs- und Entschädigungsverfahren
einbezogen werden, die sich jahrzehntelang quälend hinzogen.
Abschließend möchten wir allen denen danken, die als Zeitzeugen freimütig in Inter-
views Forschern der nachfolgenden Generationen Auskunft gegeben haben.
Gudrun Fiedler, Hans-Ulrich Ludewig, 2003