Seite 12 - Zwangsarbeit

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dig für die Überwachung der Arbeitsbedingungen in den Betrieben. Die braunschweigi-
schen Arbeitsämter können als Beispiel für die Selbstnazifierung bürokratischer Eliten her-
angezogen werden. Die zunächst erfolgreiche Profilierung als zentrale Arbeitseinsatzbe-
hörden des NS-Staats führt zu einer Konzentration zahlreicher Aufgaben, die sich bis 1942
nachweisen lassen. Dabei wird deutlich, dass dieser Versuch, sich im NS-Staat vorteilhaft
zu positionieren und den eigenen Einfluss auszubauen, im Februar 1942 scheiterte. Fortan
stand die Arbeitsverwaltung unter Leitung des überzeugten Nationalsozialisten Fritz Sau-
ckel als Generalbevollmächtigtem für den Arbeitseinsatz. Faktisch verlor die Arbeitsver-
waltung mehr und mehr ihren eigenen, behördlich geprägten Charakter (Gudrun Fiedler).
Es folgt ein Unterkapitel mit einer Untersuchung zu den Grundbedingungen und der
kontinuierlichen Entwicklung des Zwangsarbeiter-Einsatzes. Beschrieben werden die zah-
lenmäßig größten nationalen Kontingente und ihre jeweiligen Einsatzbranchen bzw. Einsatz-
betriebe, dabei unterscheidend zwischen ihrem Status als Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und
KZ-Häftlinge. Der Höchststand der beschäftigten Zwangsarbeiter war im Herbst 1944 mit
etwa 43.000 Zivilarbeitern allein im Arbeitsamtsbezirk Braunschweig erreicht, davon waren
ca. 15.000 Frauen, hinzu kamen ca. 8.800 Kriegsgefangene. In den Büssing-Automobilwer-
ken arbeiteten in den letzten Kriegsmonaten etwa 1.300 KZ-Häftlinge, darunter ca. 1.200
jüdische Häftlinge. In vielen Rüstungsbetrieben lag der Anteil der Zwangsarbeiter bei annä-
hernd 50% (Norman-Mathias Pingel). Die Beschreibung der Lebens- und Arbeitsbedin-
gungen der Zwangsarbeiter wurde in einem weiteren Unterkapitel auf einige zentrale Aspek-
te beschränkt; auf Bekleidung und Ernährung, auf die Unterbringung in Lagern sowie auf
Repressionen am Arbeitsplatz (Norman-Mathias Pingel). Da sich die Verhältnisse im Land
Braunschweig nicht grundlegend von den in vielen anderen Regional- und Lokalstudien
beschriebenen Bedingungen unterschieden, schien uns die Beschränkung auf einen knappen
Überblick und die Darstellung braunschweigischer Besonderheiten vertretbar. Gesondert
behandelt werden zwei für das Land Braunschweig wichtige Wirtschaftszweige, die Konser-
venindustrie und die Landwirtschaft. Deutlich wird, dass die Behandlung von Zwangsarbei-
tern in den Betrieben sehr unterschiedlich war. Auf dem Lande ist das Leben durchweg
leichter gewesen. In der Industrie verrichteten ausländische Arbeitskräfte oft ohne unzurei-
chende Ernährung schwere und niedere Arbeiten. Der Blick auf den Arbeitsalltag der deut-
schen Arbeiter schien notwendig, da deren subjektive Erfahrung der „Heimatfront“ ihre
Wahrnehmung der Zwangsarbeiter wesentlich prägte (Norman-Mathias Pingel). Basierend
auf einer Auswertung einer Fünfprozentstichprobe wird das Profil der bei der AOK Braun-
schweig 1939 bis 1945 versicherten Ausländer vorgestellt und rund 75 % aller in Stadt und
Kreis Braunschweig arbeitenden Ausländer erfasst. Gerade diese Untersuchung zeigt ein-
drucksvoll, wie wichtig regionale Fallstudien für die Zeit des Dritten Reiches sind. Deutlich
wird, dass erst das sorgsame Ausloten von Ermessensspielräumen in der Reaktion weniger
spektakulärer Institutionen und Personen zu einem tieferen Verständnis der NS-Diktatur
führen kann (J. u. E. Schmid / G. Fiedler).
Kapitel vier zeigt Facetten der Zwangsarbeit auf und leitet damit zu der persönlichen
Situation von Zwangsarbeitern über. Einzelschicksale werden sichtbar. Eine von Norman-
Mathias Pingel bearbeitete Quelle aus der Kriegszeit berichtet aus der Sicht französischer
Kriegsgefangener in der Chemiefabrik Borchers in Oker bei Goslar. Einen außergewöhn-
lich detaillierten Bericht eines ehemaligen ukrainischen Zwangsarbeiters über 963 Tage in
Braunschweig und Umgebung hat das Stadtarchiv Braunschweig zur Verfügung gestellt
(bearbeitet von N.-M. Pingel). Für die Aufrechterhaltung der Produktion wurde durchaus