Seite 27 - Zwangsarbeit

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Gerade auch die Geschichte der Arbeitsämter im Braunschweiger Land lässt die
Selbstnazifierung von professionellen und bürokratischen Eliten aufscheinen. Welche
Auswirkungen dies auf das professionelle Selbstverständnis der Mitarbeiter und ihre Ein-
stellung gegenüber Arbeitssuchenden bereits vor Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte,
soll im Folgenden an zwei Beispielen gezeigt werden: an der Konzeption des Neubaues
des Braunschweiger Arbeitsamtsgebäudes und an der Organisation einer für das Deut-
sche Reich frühen Form von Zwangsbeschäftigung durch das Arbeitsamt Blankenburg.
Der Zeit vorausmarschiert: zwei Beispiele früher Profilierung
Der Neubau des Braunschweiger Arbeitsamtes
Der 1939-1940 ausgeführte Neubau wurde vom Reichsarbeitsministerium bewusst als
Musterbau für Arbeitsamtsgebäude im nationalsozialistischen Staat angelegt. Bei der
Einweihung waren Ministerpräsident Klagges, der Oberbürgermeister der Stadt Braun-
schweig Hesse, Ministerialdirigent Dr. Rachner vom Reichsarbeitsministerium und der
Präsident des Landesarbeitsamtes Niedersachsen Kaphan anwesend
8
.
Der 1938 als Leiter des Braunschweiger Arbeitsamtes berufene langjährige leitende
Mitarbeiter der Arbeitsverwaltung, der Architekt Alfred Gerber, kann als der Initiator
und Mitgestalter des neuen Arbeitsamtes angesehen werden. Dies geschah in enger
Abstimmung mit der Spitze der Reichsarbeitsverwaltung, u.a. mit Friedrich Syrup. Ger-
ber war seit 1933 im Kampf um die Durchsetzung fachlich bedingter Interessen auch vor
Konflikten mit Gauleitern nicht zurückgeschreckt. Dem Fachmann Gerber stand übri-
gens mit dem Leiter des Arbeitsamtes Goslar und späteren Chefs des Arbeitsamtes
„Reichswerke Hermann Göring“ in Watenstedt August Pralle ein aktiver National-
sozialist gegenüber
9
.
Das neue Gebäude des Braunschweiger Arbeitsamtes lag auf dem 5.000 m
2
großen
Gelände am „neuen Cyriaksring gegenüber dem Luisenhof“
10
, wie die Braunschweiger
Zeitung im August 1939 berichtete. Vor dem Arbeitsamt werde künftig eine ca. 18 m
breite Allee angelegt sein und ihm gegenüber ein „ähnliches repräsentatives Gebäude“
stehen. Die Zeitung betonte, der Neubau sei keine ‚Stempelbude’ mehr, die wie früher
einem Millionenheer von Arbeitslosen nur Arbeitslosengeld auszahle. Den Zeitungsbe-
richten ist zu entnehmen, dass das Gebäude zwar dem „Adel der Arbeit“ gewidmet sein
sollte, seine Planer mit den arbeitenden Menschen und der Realität der Arbeitswelt im
20. Jahrhundert dennoch wenig im Sinn hatten. Die Eingänge zur Arbeitseinsatzabtei-
lung als der wichtigsten und größten Abteilung wurden nämlich an die Seite bzw. Rück-
seite des Gebäudes gelegt. Der Haupteingang des Gebäudes mit seinem monumentalen
8
Vgl. hier und folgende Zitate Braunschweigische Landeszeitung, Braunschweiger Neueste Nachrichten
[zukünftig BLZ-BNN], 19./20.11.1940; Vgl. auch StA Bremen 4,66-I, Kopien von Zeitungsartikeln aus den
1930er Jahren in der Entnazifizierungsakte von Alfred Gerber.
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Wysocki
(wie Anm. 7), S. 52 u. S. 483: Am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten, war der Rechtsanwalt
August Pralle Mitglied im NS-Rechtswahrerbund und 1939 als Mitglied der NSDAP-Kreisleitung Goslar
stellvertretender Schulungsleiter im Rassepolitischen Amt sowie ab 1942 stellvertretender Kreisleiter des
NSDAP-Kreises ‚Reichswerke Hermann Göring’.
10
Vgl. hier und im Folgenden einschließlich der Zitate: BLZ-BNN (wie Anm. 8), Rubrik ‚Stadt-Blatt’ vom
2.8.1939, Nr. 178, S. 9; 19./20.10.1940; 27.11.1940.