Seite 30 - Zwangsarbeit

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Die in der Raumplanung zum Ausdruck kommende Vorreiterrolle war nicht neu. Vor
dem Hintergrund des akuten Facharbeitermangels hatte das Braunschweiger Arbeitsamt
bereits – impulsgebend für die braunschweigische Wirtschaft – in den 1930er Jahren bei
Prüfungen für die Eignungen von Berufen auf psychotechnische Verfahren zurückgegrif-
fen. Damit war einer einseitig ingenieurmäßigen Behandlung von Menschen im Sinne einer
von der Persönlichkeit unabhängigen Fähigkeitsprüfung der Vorrang gegeben worden
13
.
Mit dieser Initiative des Arbeitsamtes hatte sich im Übrigen ein Kreis herausgebildet, der
aus Vertretern des Braunschweiger Arbeitsamtes, der Industrie- und Handelskammer
(IHK), der Handwerkskammer, der für sozialpolitische Aufgaben in den Betrieben zustän-
digen nationalsozialistischen Deutschen Arbeitsfront (DAF), der Wehrwirtschaftsstelle, der
NSDAP, der braunschweigischen Industrie sowie des Braunschweigischen Staatsministe-
riums und der Stadt Braunschweig bestand. Mit dem Ziel, „jede einzelne Arbeitskraft plan-
voll dort einzusetzen, wo sie für Staat und Volk das beste leistet“, wurde über Jahre hin-
weg eine Zusammenarbeit erprobt, die auch während des Krieges Bestand hatte.
An der Konzeption des Neubaues zeigt sich deutlich, dass bis 1939 das Braun-
schweiger Arbeitsamt eine Abkehr von der Stellenvermittlung für Arbeitssuchende voll-
zogen hatte. Bei der Versorgung der entstehenden Großbetriebe waren Erfahrungen
gesammelt worden, wie Tausende von Menschen aus anderen Gebieten zu erfassen und
zu verteilen waren. Aus Berichten über andere Arbeitsämter im Deutschen Reich wis-
sen wir, dass autoritäre Grundmuster bei den Fach-Beamten es durchaus zuließen, dass
bei der Verteilung von Arbeitskräften nationalsozialistische, rassebiologische etc. Vor-
stellungen als neue Ordnungskriterien berücksichtigt wurden. Wie das folgende Kapitel
zeigt, gab es auch für die Arbeitsämter im Land Braunschweig keine grundsätzlichen
Berührungsängste gegenüber der nationalsozialistischen Ausgrenzungspolitik.
Erste Erfahrungen des Arbeitsamtes Blankenburg bei der Organisation von ‚Zwangsbeschäftigung’
Das Arbeitsamt in Blankenburg war – neben dem Arbeitsamt Braunschweig – eines der
ersten Arbeitsämter in Deutschland, das Erfahrungen bei der Organisation von Zwangs-
beschäftigung machte
14
. 700 jüdische Österreicher kamen bis Ende Juni 1939 in das
Gebiet des Landesarbeitsamtes Niedersachsen. 72 von ihnen wurden dem Talsperren-
bauamt in Quedlinburg zum Bau der Bodetalsperre zugewiesen
15
. Sie wurden im Lager
13
Hier und im Folgenden StAWf 12 Neu 18 Nr. 817, Initiativen des Arbeitsamtes Braunschweig zur Berufsbera-
tung; Zitat: Rede des IHK-Präsidenten Stephan
Luther
. In: Braunschweigische Wirtschaft. Amtliches Organ
der Industrie- und Handelskammer Braunschweig. Mitteilungsblatt der wirtschaftlichen Verbände Braun-
schweigs Nr. 1 (Januar) 1938, Beilage S. 5; Vgl. allgemein die Beiratssitzungen und Rechenschaftsberichte etc.
in der „Braunschweigische Wirtschaft“, 1933-1941; Vgl. auch BA/MA Freiburg. RW 21-8 / 1 ff.: KTB, Proto-
kolle des Rüstungskommandos, für die Zusammenarbeit in der Kriegszeit (künftig RW 21-8/... KTB...).
14
Hier v.a. als Grundlage Wolf
Gruner
, Zwangsarbeit und Verfolgung: österreichische Juden im NS-Staat
1938-1945. Innsbruck-Wien 2000, S. 78, 86 ff., 102, 260, 314. Jüdische Österreicher wurden 1939 in Nieder-
sachsen außer durch die bsg. Arbeitsämter Bs. und Blankenburg u.a. durch die Arbeitsämter Leer (für Hoch-
wasserschutzdamm des Leda-Jümme-Gebietes) und Hildesheim (Reichsstraßenbau) vermittelt.
15
StA WF 12 Neu 13 Nr. 15392, Geheime Staatspolizei/Staatspolizeistelle Bs. an den bsg. Ministerpräsidenten
vom 30. März 1939. Betrifft: Einsatz von jüdischen Arbeitern aus Österreich bei dem Bau der Bodetalsperre
in Wendefurth, Kreis Blankenburg, auch im Folgenden, wenn nicht anders erwähnt. Zum Lager vgl.
Gruner
(wie Anm. 14), S. 314, und Hans Donald
Cramer
, Das Schicksal der Goslarer Juden. Eine Dokumentation.
Goslar 1986, S. 45, 96-98, 110-111, 144. Zum Runderlass auch Herbert
Rosenrkanz
, Verfolgung und Selbst-
behauptung. Die Juden in Österreich 1938-1945. München 1978.