Seite 42 - Zwangsarbeit

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Sein Helfer in der Lagerschreibstube war Unteroffizier Rolfs
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. Außer diesen beiden sind
folgende Mitglieder der SS-Wachmannschaft namentlich bekannt: Heinrich Sebrantke,
Kirsteins Vertreter im Unterkommando Vechelde, SS-Feldwebel Robert Nordmann,
zuständig für Verpflegung, außerdem noch der SS-Mann Gerjet Backer, der SS-Schütze
Hermann Schier, SS-Sturmmann L. Sagell, SS-Oberscharführer Paul Braszeszewitz und
SS-Schütze August Sonntag
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.
Die Selektion
Mitte August 1944, parallel zum Beginn der Bauarbeiten, fuhren zwei Vertreter der
Firma Büssing, der Oberingenieur Otto Pfänder und der Verkaufskorrespondent Otto
Schollmeyer, in das Konzentrationslager Auschwitz, um von den aus dem liquidierten
Ghetto in Lodz kommenden Häftlingen 1.000-1.200 Männer auszuwählen, die für den
Arbeitseinsatz bei Büssing geeignet schienen. Das genaue „Auswahlverfahren“ ist akten-
mäßig nicht überliefert.
Die ehemaligen Häftlinge, die vom Autor im Mai und Juni 1999 in Israel interviewt
wurden, erinnern sich, dass man in Auschwitz unter den Häftlingen über Vertreter der
Firma Büssing redete, die „Metallarbeiter“ brauchten. Unter den ehemaligen Lodzer
Ghettobewohnern gab es aber relativ wenig qualifizierte Vertreter dieses Berufes
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. Man
suchte also nach verschiedenen Wegen, um zum Arbeitseinsatz nach Deutschland zu
gelangen als einer Chance, dem Vernichtungstod in Auschwitz zu entgehen.
Die Kriterien, die im Auswahlverfahren für Büssing entscheidend waren, lassen sich
nach den Zeitzeugenaussagen nicht eindeutig definieren. In vielen Fällen reichte eine
mündliche Erklärung über die beruflichen Fähigkeiten aus, die nur selten durch gezielte
Fachfragen überprüft wurde. Sehr oft spielte die damalige körperliche Verfassung, ent-
sprechende Körpergröße, keine äußerlichen Anzeichen von Unterernährung, eine ent-
scheidende Rolle. Für Jugendliche konnte ihre vorhandene „Geschicklichkeit“ maßgeb-
lich für ihre Auswahl sein.
So erinnert sich der interviewte Boleslaw Olomucki, der zum „Transport Braun-
schweig“ gehörte, an die Umstände dieses „Auswahlverfahrens“:
Die ganze Zeit dachte ich schon, wie ich von der Selektion und von den Krematoriums-
schornsteinen fliehen könnte. Mit Erleichterung hörte ich, daß Fachleute für eine Autofabrik
in Braunschweig gesucht werden, insbesondere würden Schweißer gebraucht, hieß es. Seiner
Zeit, noch im Ghetto in Lodz, fiel mir eine deutsche Broschüre über Schweißen in die Hände.
Da ich nichts anderes zum Lesen hatte, las ich diese Broschüre ein paar Mal und jetzt beschloß
ich, mich für den Transport zu melden. Auf die Frage des Prüfers antwortete ich, daß ich
Mechanikstudent sei, daß ich bei meinem Vater als Praktikant gearbeitet und Bleche bis 24
mm Stärke geschweißt habe. „Wieso Bleche?“, fragte der andere Zivilist. „Ja“, sagte der erste
Prüfer, „bis 24 mm sind es Bleche, darüber sind es schon Platten“. Noch zwei, drei Fragen, die
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Festgestellt 1946 vom Landespolizeiposten Vechelde, in WF Nr. 445.
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Anderer Meinung ist der ehemalige Häftling des Lagers Schillstraße, Unterkommando Vechelde, Adolf Dia-
mant (deutscher Jude aus Chemnitz, deportiert ins Ghetto Lodz und dann nach Auschwitz). In der „Frank-
furter Rundschau“ vom 21.9.1999 erschien sein Brief, in dem Diamant schreibt, dass die bei Büssing arbei-
tenden Juden erstklassige Facharbeiter wären, die schon im Ghetto meistens im Ressort der Metallbearbei-
tung gearbeitet hätten.