Seite 57 - Zwangsarbeit

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bin zu meiner Großmutter gelaufen. Nach zwei Wochen kehrte ich in die Wohnung zurück,
um mir ein paar Kleidungsstücke zu holen. Die Gestapo überraschte mich dort und nahm
mich fest. Ich wurde verhört und dabei geschlagen. Man wollte wissen, wo sich mein Vater auf-
hält. Aber ich wußte auch nicht, wo er war. Nach den Verhören schickte man mich nach
Deutschland zur Arbeit. Die Fahrt dauerte drei Tage. Bei der Ankunft in Braunschweig war-
teten schon unsere Arbeitgeber. Wir wurden in Gruppen aufgeteilt und ich und ein paar hun-
dert andere Polen mussten nach Wolfenbüttel zum Bauunternehmen Friedrich Müller
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Wir wohnten in Dlutow. Mein Vater hatte dort ein Grundstück mit einem Holzhaus. Er
war Weber und besaß eine Weberwerkstatt. Es ging uns dadurch gut. Unsere Familie
bestand aus fünf Personen – meinen Eltern, mir und meinen zwei Schwestern, die jünger als
ich waren. Die Jüngere war damals sechs, die Ältere neun Jahre alt. Die Ältere war am Tag
unserer Verhaftung nicht zu Hause. Sie war bei unserer Großmutter in einer anderen Ort-
schaft zu Besuch. Auf diese Weise ist sie der Verschleppung nach Deutschland entgangen.
An jenem Tag standen um 7 Uhr früh einige Gendarmen und Sicherheitspolizisten in ihren
grünen und gelben Uniformen vor unserer Tür. Mit Schreien und Drohungen verlangten sie
von uns, das Haus zu verlassen. Sie gaben uns 15 Minuten Zeit zum Mitnehmen notwendi-
ger persönlicher Sachen. Dann wurden wir mit vielen anderen Personen und Familien auf
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Henryk Nalberczynski aus Lodz (Polen), damals 12 Jahre alt.
Abb. 42: Im Mai 1943 wurde diese ukrainische Großfamilie aus Bokinitschi, Kreis Pinsk, mit
allen Mitgliedern nach Volzum deportiert. Die Erwachsenen waren zwischen 20 und 50 Jah-
ren, das kleinste der sechs Kinder 2 Jahre alt. Die 15-Jährige in der Mitte des Bildes war behin-
dert und kümmerte sich um das kleine Mädchen, das sie hier auf dem Arm hält. Alle tragen
das »Ost«-Abzeichen an ihrer Kleidung – der einzigen für Sommer und Winter. Die ukraini-
sche Familie blieb bis zum Kriegsende in Volzum.