Seite 56 - Zwangsarbeit

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Tage nach der Razzia wurden wir zum Transport zum Bahnhof gebracht und in einen Zug
gesetzt. Niemand sagte uns, wohin wir fahren. Es hieß nur, wir fahren zur Feldarbeit und müs-
sen uns gut um Pferde und landwirtschaftliche Geräte kümmern. In Magdeburg stiegen wir
um, und ein paar von uns wurden dann nach Jerxheim gebracht, wo ich auf dem landwirt-
schaftlichen Betrieb ‚Rittergut Teichhof ’ arbeiten mußte
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.
1940 wurde meine Familie in das Generalgouvernement umgesiedelt. An dem Tag über-
nachtete ich bei meinen Großeltern, und so kam ich in das Generalgouvernement nicht mit.
Doch lange sah man sich nicht ruhig an, dass ein junger Bursche wie ich ohne Beschäftigung
sich herumtreibt. Der Bürgermeister holte mich eines Tages und brachte mich ins Nachbardorf
zum deutschen Bauern Titus R. Dort arbeitete ich bis zum Mai 1942. An diesem Tag wurde
ich während einer Straßenrazzia festgenommen und nach Deutschland verschleppt. In Braun-
schweig, nach einer Fahrt mit einem Personenzug, sind wir zum Arbeitsamt geführt worden,
wo auf uns schon die ‚Sklavenhändler’ warteten. Ich musste nach Wolfenbüttel in eine Metall-
fabrik an der Halchterschen Straße
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.
Die deutschen Arbeitseinsatzbehörden nahmen bei der Arbeitskräfterekrutierung im
Osten auf Familien, alleinstehende Elternteile, Schwangere usw. keinerlei Rücksicht und es
war gängige Praxis, Familienmitglieder getrennt zum Arbeitseinsatz nach Deutschland zu
schicken. Dabei wurden ganz offiziell auch Jugendliche ab einem Alter von 14 Jahren
deportiert, häufig sogar noch viel jüngere Kinder in Begleitung eines Elternteils. Da sich
Familienmitglieder dann oftmals im Reich auf der Suche nach ihren in einer anderen Stadt
eingesetzten Eltern, Kindern oder Geschwistern unerlaubt von der Arbeitsstelle entfernten,
wurden die deutschen Stellen von Sauckel wiederholt angewiesen, Familien geschlossen
zum Arbeitseinsatz zu bringen
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. Betroffene erinnern sich:
Ich wurde während einer Straßen-
razzia verhaftet. Ich war im vierten Monat schwanger und hatte meinen dreijährigen Sohn dabei.
Alle Aufgegriffenen wurden sofort in Viehwaggons verladen. Der Transport war schrecklich. Man
gab uns nicht einmal Wasser für die Kinder. Die Notdurft mussten wir im Waggon verrichten.
Viele Menschen starben. Wir wurden schlechter als Tiere behandelt. Bei der Ankunft in Braun-
schweig waren wir hungrig, erschöpft und krank. Begrüßt hat uns eine Ukrainerin, die mit den
Deutschen zusammenarbeitete. Diese schlug uns und trennte die Kinder von den Müttern
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.
Ich wohnte in Lowin und hatte bis zum Beginn des Krieges zwei Klassen der Grundschule
hinter mir. Von 1940 bis 1941 wurde dann auch in deutscher Sprache unterrichtet. Meine Eltern
besaßen eine Landwirtschaft von ca. 16 Hektar, die sie bis zum Weggang nach Deutschland
bewirtschafteten. Im September 1941 wurde meine ganze Familie ins Durchgangslager nach Puck
gebracht. Dort stand schon ein Zug für den Transport nach Deutschland bereit. Wohin wir fuh-
ren, sagte uns keiner. Während der Fahrt empfand ich Angst und hatte Hunger. Die erste Station
war in Magdeburg. Dort mussten alle aussteigen und die deutschen Bauern suchten sich Arbeiter
aus. Mich und meine Familie nahm der Bauer Friedrich H. aus Runstedt bei Helmstedt mit. Er
war ein guter Mensch und behandelte uns gut. Er sagte immer zu uns: ‚Wird alles gut werden’
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.
Mein Vater arbeitete als Straßenbahnfahrer in Lodz. Die polnischen Fahrer hatten einen
Sabotageakt verübt und mein Vater hatte es nicht mehr rechtzeitig geschafft, mich zu warnen.
Als ich nach Hause kam, wartete dort schon die Gestapo. Ich konnte gerade noch flüchten und
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Franciszek Krysiak, geb. in der Provinz Konin (Polen), damals 19 Jahre alt.
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Antoni Owczarek, geb. in Koscierzyn (Polen), bei seiner Verschleppung 17 Jahre alt.
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Spoerer
(wie Anm. 4) S. 74, 149.
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Regina Paczkiewicz aus Warschau.
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Henryk Dembek aus Lowin, Kreis Swiecie (Polen), damals 11 Jahre alt.