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Einleitung
Lange schon war an diesem Oktobertag des Jahres 1754 die Abendsonne
hinter den Festungsmauern der Stadt Braunschweig verschwunden. Auf
den Giebeldächern lastete herbstliche Kühle. Die meisten Bürger hatten sich
zur Ruhe begeben und die Kerzen gelöscht. Nur in den von Linden gesäum-
ten Innenhof eines der nicht prunkvollen, doch ansehnlichen Neubauten
nahe dem Augusttor drang aus einem ebenerdigen Fenster noch Licht. In
seinem flackernden Schein lehrte der aufkommende Nachtwind welke Blät-
ter Ringelrein tanzen. Drinnen, in der mit Büchern, Ahnenporträts und fei-
nen Kupferstichen bis unter die Decke ausstaffierten Bibliothek, spendeten
knisternd lodernde Holzscheite ein wenig Helligkeit und wohlige Wärme.
Zwei Männer mittleren Alters hatten es sich in ihren Lehnstühlen bequem
gemacht. Der eine entlockte seiner holländischen Tonpfeife nach englischem
Tabak duftende Rauchwölkchen, der andere liebäugelte gelegentlich mit sei-
ner Schnupftabaksdose. Sie becherten Roten Burgunder und plauderten.
Der Oberlippe des Pfeifenrauchers entspross ein buschiger, an den Enden
gezwirbelter Schnurrbart. Dieser der herrschenden Mode zuwiderlaufende
Zierrat wie auch ein militärischer Zuschnitt seiner Kleider verliehen ihm
das martialische Aussehen des Berufssoldaten. Die glatt rasierten Gesichts-
züge seines Gegenübers und ein vorzeitiger Bauchansatz unter dem nach-
lässig geknöpften, damastenen Schlafrock vermittelten dagegen den Ein-
druck eher geruhsamer Lebensweise.
Karl Friedrich Hieronymus von Münchhausen, bis vor wenigen Jahren Ka-
vallerieoffizier im Dienst der russischen Krone, kam aus Bodenwerder an
der Weser. Dort, im südlichsten Winkel Welfischer Lande, genoss der ausge-
diente Rittmeister des baltischen Kürassierregiments Riga auf ererbtem Fa-
milienbesitz das verhältnismäßig sorgenfreie Leben eines kurhannover-
schen Landedelmannes.
In die weit entfernte Hauptstadt des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüt-
tel hatte ihn nicht so sehr die Absicht geführt, dem um ein Jahr jüngeren
Cousin seine Aufwartung zu machen. Der tiefere Grund für die lange Reise
an Ferdinands Wohnsitz war sein Verlangen nach einem Wiedersehen mit
dem nahe gelegenen Wolfenbüttel. In dieses nicht immer nur beschauliche
Städtchen an der Oker – bis vor kurzem noch Residenz der Braunschweiger
Herzöge – hatte es den späteren Haudegen im zarten Alter von dreizehn
Jahren verschlagen, ihn vertraut gemacht mit einem für seine Prachtentfal-
tung in ganz Europa berühmten Hof. Als Page hatte er immerhin drei kurz
auf einander folgenden Fürsten gedient, deren letzter noch immer regierte
– Herzog Karl I. Unter dessen Herrschaft war Schritt für Schritt die gesamte
Bürokratie nach Braunschweig verlegt worden, erst vor kurzem dann die