Seite 6 - Der_unendliche_Faden

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Liebe Leserinnen und Leser,
mit diesem neuen reich bebilderten Band in der Heraus­
geberschaft der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz
möchten wir Sie einmal mehr auf eine Entdeckungsreise in
das Braunschweiger Land und die vielfältigen Reichtümer
seiner Geschichte einladen.
Am westlichen Rand der Stadt Helmstedt liegt das Kloster
St. Marienberg. Gegründet durch den Abt Wolfram von
Werden und Helmstedt liegt es weithin sichtbar auf einem
Hügel über der Stadt Helmstedt.
Schon vor reichlich achthundert Jahren beherbergte es ein
Augustiner-Chorfrauenstift und war so zunächst Wohnstatt,
Zufluchtsort und geistliche Heimat von adligen Frauen
und später von Vertreterinnen des städtischen Bürgertums.
Mit der Einführung der Reformation durch Herzog Julius
im Jahre 1569 wandelte es sich in ein evangelisches
­Damenstift mit sechs Plätzen für bedürftige Töchter von
Offizieren und Beamten. Durch wechselvolle Zeiten hin-
durch wird das geistliche Leben vor Ort bis heute von einer
Gemeinschaft evangelischer Frauen getragen. Tatsächlich
ist das Kloster und seine Kirche bis auf kurze Unterbrech­
ungen seiner ursprünglichen Bestimmung treu geblieben
und bildete dabei doch den Lauf der Zeit ab. So leben die
heutigen Konventualinnen nicht mehr nur innerhalb der
alten Mauern und haben sich auch nicht zur Ehelosigkeit
verpflichtet – vielmehr fördern sie die Wahrnehmung des
Klosters in der Öffentlichkeit durch Führungen, Seminare
und Ausstellungen.
Dies Wirken ist umso kostbarer, als Menschen in starkem
Maße ansprechbar sind für Kultur und Traditionen des
christlichen und auch klösterlichen Lebens. Denn nachdem
die Stadt Helmstedt 38 Jahre lang von ihrer Existenz an der
innerdeutschen Grenze geprägt war und viele Menschen
in dieser Zeit mit Helmstedt vermutlich zuerst den Grenz­
übergang für den Transitverkehr nach Westberlin verbunden
haben, wird uns heute wieder neu bewusst, dass Helmstedt
keineswegs am Rande liegt.
Bereits im Mittelalter verlief hier eine wichtige Handels-
straße, die aus Köln kommend über Braunschweig nach
Magdeburg führte. Und so war Helmstedt schon für
­Heinrich den Löwen von strategischer Bedeutung. „Hier
verlief die Handelsstraße [...] und hier konnte man – durch
Vorwort
den Lappwald zu den Besitzungen der Welfen im Gebiet
der Haldensleber Grafschaft kommen. Die Gründung des
Klosters auf dem die Handelsstraße beherrschenden Berg
neben der Stadt Helmstedt ermöglichte […] eine weitere
Kontrolle des bedeutenden Verkehrsweges.“
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An dieser West-Ost-Route lagen und liegen Stationen, die
es lohnen, die heute breit ausgebaute Autobahn zu verlas-
sen. Zu ihnen gehören nicht nur die großen Kathedralbauten
in Köln, Braunschweig und Magdeburg, sondern eben auch
der jüngst restaurierte Kaiserdom in Königslutter und das
Kloster St. Marienberg.
Das vorliegende Buch widmet sich der Historie des alten
Kirchortes und des Konventes aber auch der Baugeschichte
des Klosterkomplexes. Es erinnert an Marienberg als Begräb­
nisort ebenso wie an die Biographie der Domina Charlotte
von Veltheim und eröffnet schließlich Einblicke in die nach
wie vor bedeutende „Paramentenwerkstatt der von Veltheim-
Stiftung beim Kloster St. Marienberg, Helmstedt“.
Der aus dem 12. und 13. Jahrhundert stammende roma-
nische Kirchenbau ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts
umfassend restauriert und vor allem mit Blick auf die
Innen­ausmalung dem historistischen Zeitgeschmack ent-
sprechend neu ausgemalt und gestaltet worden. Verant-
wortlich hierfür zeichnete der Braunschweiger Hofmaler
Adolf Quensen. Das Gotteshaus beherbergt zudem sehens­
werte Ausstattungsdetails, die in diesem Buch gewürdigt
werden und mit Sicherheit eigener Anschauung wert sind.
Es findet sich hier nicht nur ein historisches Glasfenster
aus dem frühen 13. Jahrhundert, sondern daneben auch
ein ganz moderner Fensterzyklus des Marburger Künstlers
Erhardt Klonk. Wer eines seiner Werke in den Kirchen und
Kapellen auch in unserer Landeskirche kennt, wird ahnen,
dass man gerade hier eine immer neu faszinierende und
zugleich moderne Auslegung der christlichen Botschaft
­erwarten darf, dies auch und gerade dann, wenn sie im
Kontrast zu mittelalterlicher Glaskunst steht. Weiter befindet
sich im nördlichen Seitenschiff ein mittelalterliches Kruzifix,
welches den Heiland, nicht wie gewohnt mit weit ausge-
breiteten Armen und angenagelten Händen zeigt, sondern
über der Brust kreuzt.