Gegenteil. Er blieb unentwegt aktiv. Wie ist dieser Fanatismus nur
zu erklären?
6. April 1945, der Tag, an dem Heilig aus Braunschweig in den Harz
befohlen wurde: Frauen hasteten geduckt an Schuttbergen und von
Feuer geschwärzten Mauerresten vorüber zum Einkaufen – sofern
es „auf Lebensmittelkarte“ überhaupt noch etwas gab außer wässri-
ger Magermilch und steinhartem Kommissbrot. Abends huschten
dunkle Gestalten durch die Gärten und vergruben hastig Geld,
Schmuck oder ein paar Silbersachen. Hitler-Jugend, SA-Leute und
Volkssturm errichteten aus Eisenträgern, Gräben und Schutt Pan-
zersperren und Barrikaden an der Hildesheimer, an der Wolfenbüt-
teler und an der Frankfurter Straße. Hinter dem Theater waren vor
der Okerbrücke am Beginn der Kaiser-Wilhelm-Straße (heute
Jasperallee) Straßenbahnwaggons umgekippt worden, an der Hil-
desheimer Straße türmten sich gefällte Lindenbäume.
Amerikanische Tiefflieger fegten immer wieder über die Stadt hin-
weg und schossen auf alles, was sich bewegte. Ich habe selbst erlebt,
wie aus einem dieser Flugzeuge eine Geschossgarbe auf meine
Schwester und mich abgefeuert wurde, und wir – vom kreischenden
Motorenlärm vorgewarnt – gerade noch in einem Hauseingang in
der Schuhstraße Deckung suchen konnten. Ein Regen von Stein-
splittern nebelte uns ein, und dann klingelten ein paar Geschoss-
hülsen auf das Straßenpflaster. Ich konnte den Kopf des Piloten in
der Kanzel des Jagdflugzeugs erkennen und dachte noch: Wieso
schießt der denn auf Kinder? Dann steckte ich schnell die noch war-
men Patronenhülsen in die Manteltasche. Kinder sammelten
damals so etwas, ebenso Bombensplitter, die dann in Zigarrenkisten
aufbewahrt wurden.
Braunschweig lag nach zahlreichen Bombenangriffen zwar in
Schutt und Asche, aber es herrschte reges, hastig-ängstliches Leben
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III. Kapitel