ihren Augen verkommen zu einem Bündel zerfetzter Kleider, Fleisch und Kno-
chen. Bei gemeinem Fußvolk, besoldeten Knechten, mag man darüber hinweg
sehen; der Krieg fordert seine Opfer. Aber ein Feldherr, dazu noch wohl gebore-
ner, mächtiger Landesherr?! Sie wenden ihn auf den Rücken. Die Kugel hat seine
Hüfte zerschmettert, den Unterleib aufgerissen. Gedärm quillt heraus. Das Antlitz
vomAufprall zerschunden, sickert Blut aus Mund und Nase. Die Augen weit auf-
gerissen, bringt er am Boden nur noch ein heiseres Röcheln hervor.
‘Was ist geschehen?’ Sein Sohn stürmt heran. Die Umstehenden machen ihm
Platz. ‘Um Gottes Willen – Vater!’
Den Helm achtlos beiseite geworfen, fällt der jüngere Heinrich vor dem Älte-
ren auf die Knie, seine Lippen berühren die klaffende Stirnwunde.
‘Vater, lass uns nicht allein, wir brauchen dich!’ Er richtet sich auf. ‘Geschwind,
den Medicus – und eine Trage!’
Der Befehl wird nach hinten weitergegeben. Heinrich von Lüneburg, bekannt
als praktisch denkender Mensch, lässt es dabei nicht bewenden.
‘– – auch einen Pfaffen, den nächsten besten, dem ihr habhaft werdet!’
Beide sind nicht weit; der Doktor Arnold Römer, blutjunger Leibarzt des Wol-
fenbütteler Herzogs, am rückwärtigen Hang des Deiches gerade mit zwei
Männern beschäftigt, die sich am eigenen Geschütz verletzt hatten. Von der
zerstörten Winde waren die Zugseile gerissen, ein schwerer Mörser hinab
gepoltert, die beiden Helfer zu Schaden gekommen, zum Glück nicht schwer.
Den bisher ohne Aufgabe gebliebenen Priester im Gefolge tritt der Wundarzt
heran. Ein Blick genügt ihm, jede Hoffnung aufzugeben.
‘Leider nur noch eure Sache, Pater!’
Die Handflächen aneinander gepresst, kniet der Gottesmann nieder, intoniert
seine Litanei, spricht den Todgeweihten frei von allen Sünden, gewährt ihm
die letzte Ölung.
‘Seine Durchlaucht ist ohne Bewusstsein.’ Doktor Römer sagt es ruhig und
gefasst, ‘helft dem Pater, ihn behutsam auf die Trage zu legen und in sein Zelt
zu bringen. Dort werden wir bei ihm wachen – –‘
‘– – und für seine fromme Seele beten – der Herr Jesus Christus stehe uns bei,
amen!’
Dem jüngeren Heinrich rinnen die Tränen über den lichten Bart. Er reckt sich
auf, ein Hüne von Gestalt.
‘Auch unser Platz ist jetzt an der Seite meines Vaters – eures Bruders, geehrter
Oheim! Ihr folgt uns?’
‘Gewiss doch!’ Herzog Erich von Calenberg reibt die geröteten Augen.
Johann von Oldenburg tritt zwischen Onkel und Neffen, legt seine Arme um
ihre Schultern, ‘nur einen Augenblick noch, Euer Liebden! Wir alle bangen mit
euch um Seiner Durchlaucht Leben – aber wie soll es hier weiter gehen?’
‘In Seiner Durchlaucht Namen,’ ergreift jemand ungefragt das Wort, ‘so schla-
gen wir doch los! Noch steht die Sonne am höchsten Punkt. Bis zum Abend
haben wir die Festung gestürmt, packen uns die frechen Buben und knüpfen
sie auf!’
13
23. Juni 1514