Graf Johann schüttelt entschieden den Kopf, ‘mit Verlaub, Ihr Herren – wie
sollen wir unser schweres Geschütz auf dem Deich in Stellung bringen, ohne
die Winde? Und schaut nur – haben die nicht ein weißes Tuch aufgezogen
über der Burgzinne? Der Schuss galt keinem anderen Ziel, am wenigsten Sei-
ner Durchlaucht. Eine verirrte Kugel – abgefeuert zum Zeichen der Bereit-
schaft, eine Übergabe zu verhandeln. Bei meiner Ehre – mir ist für heute die
Lust vergangen! Schicken wir einen Herold. Verschonung von Festung und
Besatzung, der Stadt und ihrer Bürger zu folgenden Bedingungen: primo Sei-
ner Durchlaucht das Anrecht auf christliche Bestattung, in geweihtem Boden –
sollte, was zu befürchten steht, der Herrgott sich seiner armen Seele erbarmen;
secundo Atzung für unser Kriegsvolk und Futter für die Pferde hier draußen,
ab heute auf zwei Tage. Uns Standesleuten Einlass in die Stadt; tertio
–
ein
Lösegeld von, sagen wir, eintausend Gulden – –‘
‘Zweitausend!’ tönt es aus dem Kreis der Edlen, ‘auf unser Wort. Geben wir
uns damit zufrieden, brechen die Belagerung ab, ziehen von hinnen und keh-
ren so schnell nicht zurück an diesen gottverdammten Platz!’
Ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben, erliegt Herzog Heinrich zur
Nachmittagsstunde seinen Wunden. Bald darauf erscheint eine Abordnung
der Stadtväter von Leer.
Man einigt sich schnell auf Zahlung von 1.500 Gulden an die verbündeten Fürs-
ten und Grafen, der hochgeborenen Trauergäste ehrenvolle Aufnahme durch
die Bürgerschaft, Totenmesse und würdige Beisetzung der gefallenen Durch-
laucht. Zur Verköstigung der Ritter niedrigeren Standes und des gemeinen
Kriegsvolkes werden Schweine, Schafe und Federvieh herausgeschafft, nebst
reichlich Feldfrüchten und reinem Wasser – auf zwei Tage ab diesem Abend.
Dagegen verbürgt Graf Johann von Oldenburg den Abzug des Heeres – spätes-
tens am dritten Tag. Auch gelobt er die zukünftige Verschonung von Leer und
Leerort.
Dem jüngeren Heinrich ist das zu Ohren gekommen. Ihm sind die Tränen ver-
siegt am Sterbelager des Vaters. Geliebt hatte er ihn wohl kaum, nur gelegent-
lich gehasst, aber immer geachtet. Ohne Vorbehalt. Gewiss, der ältere Heinrich
war eigensinnig, wortkarg, fast immer unnahbar und hoch zu Ross, ob bei
einem seiner unzähligen Feldzüge oder auf der Jagd. Nun hatte ihn der Tod zu
Fuß erwischt!
Streng, selten fröhlich und nie verschwenderisch, wie so mancher seiner Stan-
desgenossen, galt er den Seinen als Knauser, selbst den geringsten Bitten um
ein paar Heller unzugänglich.
Ein neues Gewand, nur um dem Spott der anderswo erlesen gekleideten
Jugend über des Wolfenbüttelers vielfach geflickte Ärmel, Hosen und Beinlin-
ge zu entgehen?
‘Kein Geld für Firlefanz!’
Der ältere Heinrich hatte den Jüngeren seinen Unmut spüren lassen, als der
sich dennoch vom Braunschweiger Kaufmann Bartold von der Heyde einige
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Vor Leerort