Seite 23 - Herzog_Heinrich

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Oder verbirgt sich hinter der treuherzigen Miene schierer Übermut? Georg
runzelt die Stirn, zieht die buschigen Brauen zusammen. Aus dem finsteren
Dickicht seines Bartes dringt ein unergründliches Grollen.
Dann aber, ganz unverhofft, lichtet sich die Finsternis um Georgs Gesichtszü-
ge. Auf seinen Lippen erscheint ein Schmunzeln, geht in schallendes Gelächter
über. Des Sachsen reich beringte Hand landet wuchtig auf Heinrichs Schulter.
‘Ja – weshalb eigentlich nicht?’ Noch immer prustend, wendet er sich um und
nimmt – wie selbstverständlich – den Grafen wahr. ‘Ich kann nicht umhin,
meinem Neffen recht zu geben. Was sagt ihr dazu, lieber Johann?’
Den hat Heinrich von der Logik seiner Überlegungen schon unterwegs über-
zeugt. In der Kriegskasse klimpern nur noch ein paar einsame Münzen. Vom
Lösegeld der Leerer blieb wenig übrig. Zu viel ist an den gierigen Händen der
heimwärts strebenden Fürsten kleben geblieben. Der Lüneburger hatte den so
gnädig zurückgelassenen Söldnern vorerst auch nichts als leere Versprechun-
gen zu bieten gehabt. Lässt man sich aufs Belagern ein und zahlt ihnen nicht
bald ihren Lohn, machen sich die Landsknechte davon oder gehen gar zum
Feind über. Das Geschütz zeigt nicht schnell genug Wirkung. Munition ist
knapp und verschlingt ein Vermögen. Nur schnelle Aussicht auf Beute hält das
Kriegsvolk bei der Stange. Beim Sturm auf feste Mauern geht es Manchem an
den Kragen. Aber das gehört zu ihrem Gewerbe und nach dem Sieg muss man
Tote nicht bezahlen, solange nur die Überlebenden nach Herzenslust huren,
saufen und rauben können. Die Söldnerführer werden hernach an Georg von
Sachsen und die kaiserliche Majestät verwiesen – wenn sie sich nicht in Lüne-
burg schadlos halten wollen.
Im Übrigen ist Johann auf Heinrich angewiesen. Der hatte noch in Leer das vom
Vater mit ihm geschlossene Bündnis auf gegenseitigen Beistand und Teilung der
in Ostfriesland eroberten Ländereien erneuert; das war dem Grafen wichtig.
‘Vorzüglich, Euer Durchlaucht! Unser Vorgehen ist so abgesprochen und
bedarf nur noch Eurer Durchlaucht gnädiger Zustimmung.’
Gesagt – getan. Es gilt, den Gegner im Morgengrauen zu überraschen. Die
Söldner kennen ihr Handwerk. Wassergraben überwinden, Rammbock am Tor
und Leitern an mehrere Stellen der Mauer ansetzen, kostet sie kaum Opfer.
Dann aber hagelt es von oben Geschosse, Steine, heißes Pech auf die Angreifer.
Wolfenbütteler und oldenburgische Junker treiben ihre Pferde von einem
Schauplatz zum anderen, feuern die Hauptleute an; diese ihr wackeres Fuß-
volk vor dem Tor und auf den Leitern. Auch die Fürsten in schimmernder
Wehr und hoch zu Ross greifen in das Geschehen ein. Wie es ihrem Range
zukommt, Herzog Georg aus achtbarer Entfernung nur wenig, Johann und
Heinrich umso mehr. Der junge Löwe hat schnell Blut geleckt. Kaum ist unter
den üblichen Verlusten der Widerstand auf der Mauer gebrochen, fast gleich-
zeitig ein Teil des Tores zertrümmert, prescht er durch die Bresche. Wer sich
ihm entgegenstellt, wird niedergemacht.
Heinrich der Jüngere weiß mit dem Schwert umzugehen, kraftvoll und mutig.
Doch das Gemetzel treibt ihn zur Raserei. Sein Kriegsgeschrei übertönt das
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Anfang August 1514