Der kürzeste Weg nach Wolfenbüttel führt durch das Stift. Dessen Bischof
käme zwar nicht umhin, dem Herzog freies Geleit zu gewähren. Aber Hein-
rich spürt kein Verlangen, Johann IV. um die Gefälligkeit zu bitten.
Noch aus einem anderen Grund nimmt er einen Umweg über Calenberg in
Kauf. Das verträumte Nest am Westufer der Leine ist nur wenige Wegstun-
den von Hannover entfernt. Die Welfen besitzen dort eine alte Burg. Nach
ihr ist der Teil des Braunschweiger Landes benannt, über den Oheim Erich
gebietet.
Weil seine Gemahlin Katharina gediegeneres Wohnen vorzieht, hält das her-
zogliche Paar vorwiegend in Münden Hof. Im Süden des Fürstentums dicht an
der Grenze zur Landgrafschaft Hessen, erlangt Erich auch leichter Kenntnis
von Briefen, die der Kaiser regelmäßig mit seiner Schwester in Brüssel wech-
selt. Die Kuriere sind zwar verschwiegen. Aber sie wissen um die Freund-
schaft zwischen Maximilian und dem Herzog von Calenberg. Die eine oder
andere Andeutung ist da schon statthaft.
Am Schloss zu Münden wird ständig gebaut, erweitert und verschönert. So
auch dieser Tage. Erich und Katharina sind deshalb für kurze Zeit nach Calen-
berg ausgewichen.
Euer Liebden mögen doch bitte vorbeischauen, ließen sie den Neffen nach
Hannover wissen. Der hatte sie auf dem Laufenden gehalten; den Sieg von
Appingedam – ohne die unrühmlichen Begleitumstände, wohl verstanden –
ebenso vermeldet, wie seinen Entschluss, Friesland vorerst den Rücken zu
kehren. Keinem Boten anvertraut hatte er den Inhalt seiner intimen Unterre-
dung mit Georg von Sachsen. Darüber sollten Schwester und Schwager des
Bärtigen aus erster Hand erfahren.
Was liegt da näher als der kurze Abstecher nach Calenberg? Das Wiedersehen
mit Erich und Katharina, die Plauderei im engsten Familienkreis, tun Heinrich
wohl. Gehörig Lob von seinem Oheim erst recht.
‘Georg von Sachsen ist ein wichtiger Verbündeter unter den Reichsständen –
bei allem, was uns noch erwartet in dieser verrückten Zeit. Vortrefflich, Hein-
ze, dass du seine Freundschaft erlangtest!’
Tante Katharina gibt ihm noch einen fraulichen Rat auf den Weg nach Wolfen-
büttel: ‘Sei geduldig mit deiner Mutter. Sie hat wenig gehabt von ihrem Leben.
Dein Vater kam nur heim von seinen Fehden und Jagden, um sie im Galopp zu
besteigen. Zu mehr fehlten ihm Zeit und Muße. Des Mannes Lust musste sie
mit dem Gebären einer großen Kinderschar bezahlen. Dein Vater hat es ihr
wenig gedankt, sie nie ins Vertrauen gezogen. Wenigstens betrog er sie nicht
mit Liebschaften. So hat sie mit mir nur den Namen gemein, deine arme Mut-
ter Katharina!’
Erich geruht, über die letzte Bemerkung hinweg zu sehen; mit heimlichem
Schmunzeln, denn ein Kostverächter ist er nie gewesen.
Am nächsten Morgen ist Heinrich wie immer in Hast. Auch Hans von Saldern
drängt es nach Hause. Denn dort erwartet ihn Ungemach. Er war zur Nacht
bei einem seiner Vettern eingekehrt. Dessen Neuigkeiten haben ihn mehr denn
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Heimkehr nach Wolfenbüttel