Seite 71 - Herzog_Heinrich

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ligen Glaubens weiterhin getreulich zu dienen. Noch bevor auch ich Frankfurt
verlasse, will ich Karl in einem persönlichen Handschreiben unsere missliche
Lage schildern. Er muss wissen, dass der ganze Aufwand hier nur einen nutz-
losen Aufschub bewirkt. Auch werde ich mit meinem Missvergnügen über
eure Abberufung nicht hinter dem Berge halten!’
Am nächsten Morgen mit der Abfassung dieses Briefes an den Kaiser beschäftigt,
steht plötzlich ein Mann vor ihm, den er in einem finsteren Kerker wähnte – Ste-
phan Schmidt. Der mit des Herzogs geheimen Briefschaften auf hessischem
Gebiet Ertappte ist also freigekommen! Den Eindruck, schweres Leid ertragen zu
haben macht er keinesfalls. Hat er geplaudert? Dann wäre er wohl kaum hier!
‘Was hat man mit dir angestellt?’ forscht Heinrich. ‘Sprich, Stephan!’
Der schlaue Diener, Mitwisser etliche Verfehlungen seines Herrn, genießt seinen
Auftritt. Man habe ihn gegen das Versprechen entlassen, nie wieder in die Dien-
ste des Herzogs von Wolfenbüttel zu treten, erklärt er grinsend und gibt seine
eigenen Ansichten über die Einhaltung derart dümmlicher Eide zum Besten.
‘Das hast du vor Gott zu verantworten, nicht mir,’ bekommt er darauf zu
hören. ‘Lass mich lieber wissen, wie du dich bei deinen Häschern herausge-
wunden hast!’
‘Nichts einfacher als das, Euer Gnaden! Von Anbeginn den ausgemachten Töl-
pel zu spielen, fiel mir nicht schwer. Was wusste der des Lesens und Schrei-
bens unkundige Bauernlümmel schon vom Inhalt der ihm lediglich zum Aus-
tragen anvertrauten Briefsachen? Anstatt die gewohnten niederen Dienste zu
leisten, bei schlechter Kost und kargem Lohn, durfte ich Glückspilz mich auf
einmal zu Pferde in Wäldern, Auen und fernen Orten bewegen, eures Anse-
hens wegen sogar in achtbare Kleider gesteckt! Da brauchte ich nur noch um
Gnade zu winseln, euch schlecht machen als einen knauserigen Brotherrn, der
jeden Heller dreimal umdreht und den man nie zu Gesicht bekommt, weil er
meist außer Landes ist. Vergebt mir, Euer Gnaden, wie unser Herr Jesus sei-
nem Jünger Peter, der ihn dreimal verleugnete – denn nur auf diese Weise
konnte ich mich bohrender Fragen erwehren!’
‘So hat man dich nicht mit glühendem Eisen gezwickt?’
‘Die Folter blieb mir erspart, Euer Gnaden – dem Herrgott sei Dank und dem
noblen Landgrafen, dem ich bereitwillig meine Dienste anbot. Er hatte wohl
aber keine Verwendung für einen Nichtsnutz wie mich und ließ mich laufen.’
‘Gerissen bist du allemal, Stephan,’ erkennt Heinrich befriedigt an, ‘und vom
Glück verfolgt obendrein, wie es scheint. Ich werde den ehrenwerten Vize-
kanzler Doktor Held bitten, dich in seinem Gefolge nach Spanien mitzuneh-
men. Dort wirst du diesen Brief hier seiner Majestät dem Kaiser überbringen,
hernach auf schnellstem Weg nach Wolfenbüttel zurückkehren. Bis dahin soll-
test du zu Kassel in Vergessenheit geraten. Mein Dank für deine Verlässlichkeit
wird dir gewiss sein – nicht nur in klingender Münze!’
Kaum ist der Herzog heimgekehrt, trifft in Wolfenbüttel folgenschwere Nach-
richt ein. Georg von Sachsen ist am 17. April gestorbenen. Die Kraft, sein Tes-
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1539 bis 1542