Seite 74 - Herzog_Heinrich

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weil er die Wittenberger Autoritäten nicht zur Reformation des Herzogtums
heran zieht.
Dafür stürzt sich der einundzwanzigjährige Draufgänger in ein Abenteuer, das
persönlichen Neigungen ebenso entspricht, wie es in seine Vorstellungen vom
großen Krieg aller Christen gegen die Ungläubigen passt. Von Anfang Juni bis
Mitte Oktober hält er sich beim Heer in Ungarn auf. Wenn auch der Feldzug
gegen die Türken unter dem völlig ungeeigneten Kurfürsten von Brandenburg
enttäuschend verläuft und kläglich endet, hat Moritz reichlich Gelegenheit,
Mut und Tapferkeit im Gefecht zu beweisen. Zu gleicher Zeit gibt er seinen
jüngeren Bruder August zur Erziehung an den königlichen Hof zu Prag. Reli-
gion und Reichspolitik driften auseinander. Der junge Herzog von Sachsen
wird unberechenbar. Aus den Briefen des Kurfürsten Johann Friedrichs an den
Landgrafen geht die Besorgnis hervor, dass ihre Belange zu kurz kämen bei
des Vetters Instruktionen an seine Vertreter in Speyer. Zu Recht, wie sich her-
ausstellt. Denn Moritz schreibt ihnen, er müsse sich ehrlich und gebührlich vor
einem Krieg gegen den Kaiser verwahren wie gegen den
unruhigen Mann
in
Wolfenbüttel, mit dem er im Unguten nichts zu tun habe. Den Plan zu einem
heimtückischen Überfall missbillige er. Für seine Person könne er nur an
einem ehrlichen, offenen Krieg Lust verspüren und der würde von König Fer-
dinand gegen die Ungläubigen geführt.
Der dicke Kurfürst ist unschlüssig. Auch er würde den Angriff auf Wolfenbüt-
tel lieber verlegen; doch nicht um Moritz willen. Die Wurzener Fehde hat die
alte Kluft zwischen den sächsischen Vettern wieder aufgerissen. Also bleibt
Johann Friedrich seinem ursprünglichen Vorsatz treu, den Landgrafen nicht
im Stich zu lassen. Von Moritz’ Teilnahme am Braunschweigischen Krieg ist
nicht mehr die Rede. Er hat sich mit der Zusage an Philipp aus der Affaire
gezogen, zur Finanzierung des Feldzugs binnen Monatsfrist 50.000 Gulden
beizusteuern und mit bewaffneter Macht einzugreifen, falls Heinrich seiner-
seits die Feindseligkeiten eröffnen sollte. Der lästigen Verpflichtung ledig, bit-
tet er den Schwiegervater in aller Deutlichkeit, ihn nicht mehr zu den Tagun-
gen des Schmalkaldener Bundes einzuladen.
Moritz in Ungarn und Carlowitz in Dresden zögerlich, die 50.000 Gulden her-
auszurücken, ziehen sich die kursächsisch-hessischen Kriegsvorbereitungen
gegen Heinrich noch eine Weile hin. Erst im späten Sommer, nach der Sonnen-
wende, sind Johann Friedrich und Philipp so weit. Sie treffen sich in Eisenach,
geloben einander feierlich, wie ein Mann zusammenzustehen und Glück oder
Unglück gemeinsam zu tragen.
In diesen heißen Tagen dieses Jahres 1542 gehen Heinrich und sein Kanzler
Stopler sorgenvoll im Garten des Wolfenbütteler Schlosses auf und ab. Längst
wissen sie, was gespielt wird. Aus Speyer dringt genug des heimlichen Geflüs-
ters der protestantischen Gesandten herüber. Carlowitz findet Wege, vor dem
bevorstehenden Angriff zu warnen. Zum ersten Mal in seinem Leben fällt dem
Herzog nichts mehr zu seiner Rettung ein.
Euer Kayserliche Majestät hat mir oft-
mals glaubhaft zugesagt, mich keineswegs zu verlassen. Aber, so geht die Sage, soll
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Zwischen allen Fronten – Vertreibung und Verrat