gen protestierenden Vater bringt eine starke Eskorte auf die Feste Ziegenhain,
oberhalb der gleichnamigen, zu Kassel gehörenden Grafschaft.
Heinrich wird dort ein geräumiges, behaglich eingerichtetes und luftiges
Gemach zugewiesen. Seine Kerkermeister begegnen ihm mit allen Zeichen der
Ehrerbietung. Was Fürstliche Gnaden am liebsten zu speisen geruhten, welche
Art frischer Leibwäsche man bereitlegen dürfe, wann Seine Durchlaucht sich
im Garten der Burg zu ergehen wünsche – leider unter strenger Bewachung –
und was man sonst noch tun könnte, Hoheit die erzwungene Ruhe erträglich
zu gestalten. Nach dem rauen Ton, den seine bisherigen Bewacher zuweilen
angeschlagen hatten, tut dem Herzog die gewohnte Liebedienerei gut. Er gibt
sich leutselig und dankt für die seinem fürstlichen Rang gebührende Aufmerk-
samkeit.
Die Lethargie der letzten Tage – wenn er sie nicht auch ein wenig vorgetäuscht
hat, geschwächt, wie er sich fühlte – fällt von ihm ab. Mit den vom Feind
gehaltenen Festungen Wolfenbüttel und Schöningen im Rücken, der Böswillig-
keit seiner Stadt Braunschweig allemal, war ihm längst die Hoffnung benom-
men, sein Land im Handstreich zurückerobern zu können. Was hätte ihm
selbst eine gewonnene Schlacht eingetragen, angesichts der wachsenden feind-
lichen Übermacht und fehlender Geldmittel, seinen Landsknechten den aus-
stehenden Sold zu bezahlen? Musste er nicht gewärtig sein, zwischen den
Schmalkaldischen Angreifern und seinen eigenen, meuternden Söldnern zer-
malmt zu werden? War es da nicht gescheiter gewesen, statt eines von aller
Welt verlachten, geschlagenen Hans Worst die tragische Figur abzugeben, als
die er nun aus der Sache hervorgegangen ist? Vielleicht kommt ihm dieser
Gedanke auch erst jetzt, muss er sich eingestehen. Zum Glück hatte er seinen
zweiten Sohn Philipp Magnus beizeiten nach Süden geschickt, an den Hof
König Ferdinands, wo der gebildete und höfliche Jüngling längst wohl gelitten
ist. Auch hatte Stopler den Auftrag, im Notfall unverzüglich dorthin zu eilen,
als Augenzeuge der Geschehnisse und an Hand seiner Notizen das sich
abzeichnende Unheil zu belegen. Wie ein greiser Wirrkopf hatte er also nicht
gehandelt, wenn leider auch in entscheidenden Momenten etwas die Über-
sicht verloren – –
Hat Moritz von Sachsen ihn wissentlich hintergangen? Diese Frage geht ihm
am meisten durch den Kopf. Er möchte sie gern verneinen, einzig und allein
dem Landgrafen alle Schuld in die Schuhe schieben. Nur dessen unversöhn-
lichen Hass ist es zuzuschreiben, dass Moritz der ehrlich gemeinte Versuch
eines Ausgleichs misslang.
In dieser ihm genehmen Schlussfolgerung wird er bestärkt durch die Dresde-
ner Hofräte Ernst von Militz und Doktor Komerstadt, die ihn schon am 29.
Oktober im Auftrag von Herzog Moritz aufsuchen. Sie entschuldigen ihren
Herrn, der gern selbst gekommen wäre, aber wegen dringender Geschäfte in
seinem Fürstentum daran verhindert wäre. Zu dessen Entlastung von jedem
Vorwurf des Wortbruchs haben sie vielerlei vorzubringen. Seine Durchlaucht
sei willens, auf der für November nach Frankfurt berufenen Tagung des
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Kerker, Einsicht und Triumph