Seite 90 - Herzog_Heinrich

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‘Das Goldene Vlies? Wer hätte das für möglich gehalten! Doch du hast es ver-
dient, Liebster! Wie auch die Entlastung durch einen Kanzler von Format! Da
werden wir endlich mehr Zeit füreinander haben!’
Heinrich nickt, nimmt einen Schluck, knabbert am Gebäck und räuspert sich.
‘Da ist noch etwas, mein liebstes Weib, was ich dir sagen muss – –‘
Seine Beichte führt nicht zu der befürchteten Szene. Eva von Trott ist viel zu klug,
um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen oder nur ganz still in Tränen auszubre-
chen. Kennt sie ihren Heinrich nicht besser als alle anderen Menschen, vertraut
ihm ohne Vorbehalte? Aus freien Stücken ist sie zu seiner Geliebten geworden,
mit ihm durch dick und dünn gegangen. Er hat sie nie betrogen oder hintergan-
gen. Die negativen Seiten seines Charakters bekam sie nicht zu spüren. Zu keiner
Zeit ist er ihr gegenüber ausfallend geworden oder hat den Fürsten und Herr-
scher herausgekehrt. Nur sie kennt den weichen Kern, der sich unter des Her-
zogs harter Schale verbirgt. Auch in den Zeiten seiner schlimmsten Erniedrigung
hat er an sie und die Kinder gedacht, für ihren Schutz gesorgt. Gemeinsam haben
sie gebangt und gelitten. Soll sie das alles aufs Spiel setzen? Nein!
‘Ich achte dein Sehnen nach einem legitimen Erben, Heinrich!’ sagt sie gefasst,
‘wenn ich auch für deine Abneigung gegen den armen Julius wenig Verständ-
nis aufbringe. Du hast einen großen Fehler begangen, das Leben deiner Erstge-
borenen aufs Spiel zu setzen. Wir haben drei Söhne verloren und müssen nun
die Strafe Gottes ertragen – auch für unser beider Sünden. Hättest du bei Sie-
vershausen nur die Härte aufgebracht, wenigstens Karl Viktor zu befehlen, an
deiner Seite zu bleiben! Wahrscheinlich wäre ihm kein Haar gekrümmt worden
und du brauchtest dich jetzt nicht um dein Erbe sorgen. Es ist zu spät, sich zu
grämen. Heirate nur deine Prinzessin – sie wird eine gute Herzogin abgeben!’
Heinrich schließt sie gerührt in die Arme.
‘Es ist eine politische Heirat, Liebste!’ bringt er hervor und streichelt ihre Wan-
gen. ‘Nichts wird sich ändern zwischen uns beiden, das schwöre ich dir – beim
Leben unserer Kinder!’
‘Daran habe ich keinen Zweifel, Heinrich!’ lächelt sie, ‘für die Welt bin ich tot
und vergangen – lassen wir es dabei!’
Heinrich spürt Verlangen nach ihr, das sie ohne Arg erwidert. Sie sind mitein-
ander älter geworden seit jenen Tagen ungestümer Lust, doch eine Seele und
ein Leib geblieben.
Erleichtert und in seiner Männlichkeit bestätigt, begibt sich Heinrich andern-
tags mit den Leuten der Liebenburg auf die Jagd, reitet schließlich nach Gan-
dersheim, um in der noch immer dort untergebrachten Kanzlei seiner Arbeit
nachzugehen.
Stephan Schmidt, der allgegenwärtige Sekretär und engste Vertraute, betritt
mit einem Stapel Papieren das Arbeitszimmer.
‘Gib schon her, Stephan!’ begehrt der Herzog aufgeräumt, ‘oder ist noch
etwas?’
‘Mit Verlaub, Euer Durchlaucht!’ grunzt Schmidt, ‘Ich bin da einer Sache auf
die Spur gekommen – –‘
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Eine zweite Heirat, ein neuer Kanzler und der Erbe