Seite 93 - Herzog_Heinrich

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denden Kräfte. Alte Getreue fürchten sein baldiges Hinscheiden. Zu ihnen zäh-
len neben Stephan Schmidt auch andere in Heinrichs Dienst ergraute Räte und
Diener, die sein Tod umAmt, Ansehen und Vermögen bringen könnte.
Am leichtesten tut sich da noch der hochgelehrte Kanzler, Gelassenheit zu
bewahren. Joachim Mynsinger zeigt keine Befindlichkeiten. Ungerührt lässt er
so manchen Dingen ihren Lauf, beschränkt sein dienstliches Wirken auf die
Revision der Hofgerichtsordnung, Aufgaben im Bereich der Diplomatie, Ver-
tretung der herzoglichen Belange auf Reichstagen und sonstigen Zusammen-
künften höchster Standespersonen, wie auch heiklen Missionen in Erbangele-
genheiten von internationalem Ausmaß.
Als gewiegter Unterhändler nimmt er sich – gemeinsam mit Doktor Heinrich
Napp – der langwierigen polnischen Sache an, Streitigkeiten um den Nachlass
der verstorbenen Königin Bona Sforza, auf deren italienische Lehen in der
Gegend von Bari der Herzog seit 1558 für seine Frau Ansprüche erhebt.
Eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen für das Herzogtum, auf die der
Landesherr hartnäckig pocht, tragen Mynsingers Handschrift – 1557 die Aus-
weisung der Juden, gleichzeitig eine Scheffel- und Schatzordnung, 1559 neben
der erweiterten Hofgerichtsordnung ein Jagdgesetz, 1560 eine verbindliche
Regelung der Betmessen, 1563 eine Polizeiordnung. Im Jahr darauf folgt ein
neues Steuermandat, 1565 ein Edikt zum Burg- und Hausfrieden, 1566 eine
erneute Ordnung für Amtleute. Anfang 1568 erhält das Fürstentum durch Ein-
führung der von Karl V. schon 1532 erlassenen peinlichen Halsgerichtsord-
nung ein Strafgesetz.
Am alltäglichen Kanzleidienst findet Mynsinger wenig Geschmack. Um des
Herzogs Gunst zu buhlen, ist ihm zuwider. Dessen harte Maßnahmen gegen
Julius missbilligt er allerdings seit langem. Darum hatte er schon geraume Zeit
vor dessen Flucht den ihm ergebenen Kanzleireferenten Abel Ruck beauftragt,
sich des Erbprinzen anzunehmen. Die beiden hatten schnell Vertrauen zuein-
ander gefunden. Mit des Kanzlers heimlicher Duldung war Ruck dem Prinzen
zur Hand gegangen, dessen Bittschriften an den König von Dänemark, den
Kurfürsten von Sachsen, Hans von Küstrin und Christoph von Württemberg
zu verfassen. Dass diese Briefe teilweise abgefangen wurden, war dem guten
Ruck entgangen. Er war es aber dann auch, der seinen Schutzbefohlenen auf
den Wink eines Freundes hin gewarnt hatte, dass der Vater für ihn offenbar ein
Gefängnis herrichtete. Mit seinem Wissen war Julius geflohen. Die in der Eile
auf dem Tisch seiner Kammer zurückgelassenen verräterischen Schreiben
hatte Ruck noch schnell beiseite schaffen und vernichten können, als er den
Botenmeister begleitete, der Julius zurückgelassene Habe aufnehmen sollte.
Wiederum war es Abel Ruck gewesen, der Julius des Herzogs schwere Erkran-
kung nach Wien gemeldet hatte.
Der junge und allseits gefällige Kanzleireferent erfreute sich auch des Zutrau-
ens der Herzogin Sophie, die allerdings gleichzeitig den Einflüsterungen des
herzoglichen Kammersekretärs Doktor jur. Ludwig Halver ein offenes Ohr
schenkte.
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1558 bis 1568