braunschweigischen Landesbewohner: Hat der Herzog nicht geheiratet, weil angesichts
der ungesicherten Erbfolge – (Würden Kinder aus einer standesgemäßen Ehe seines
Bruders Karl vor seinen eigenen Kindern Anspruch auf den braunschweigischen Thron
haben?) – angeblich kein deutscher Herrscher willens gewesen ist, seine Tochter
derartigen, unsicheren Verhältnissen auszusetzen? Oder hat Wilhelm unter den
damaligen, fürstlichen Regeln überhaupt nicht heiraten wollen, weil er nicht bereit
gewesen ist, dieses Opfer, einer Ehe ohne Liebe und diese abermalige Konfrontation mit
Bruder Karl auch noch zu ertragen?
Mit seinem einzigen und älteren Bruder, der ihn während der gemeinsamen
Erziehung stets dominiert hatte und dessen beherrschendem Einfluss sich Wilhelm nur
schwer und allmählich entziehen konnte, war er wegen der Thronfolge lebenslang
verfeindet und hatte doch das Problem des Thronerhalts und der Erbfolge für den
bevernschen Zweig der Welfen nicht abschließend lösen können, sondern nur um
fünfzig Jahre hinausgeschoben. Karl, der seinen Bruder stets den „kleinen Usurpator”
nannte, warf diesem vor, er habe sich nicht mit ganzer Kraft für seine Rückkehr auf den
angestammten Thron eingesetzt, sondern sei zu seinen Feinden übergelaufen und würde
nun als deren Marionette regieren.
Trotz aller negativen Berichte und Verleumdungen seiner engeren Umgebung über
Karls Missetaten während dessen Regierungszeit und danach im Exil war bei Wilhelm
ein beachtlicher Rest an Respekt verblieben, den er jedoch selbst als Schwäche
einordnete und vor seiner Umgebung weitestgehend verbarg. Es gelang Wilhelm
insoweit nie, aus dem Schatten seines älteren Bruders ganz herauszutreten, und als
dieser
1873
in Genf starb, war er selbst auch schon immerhin
67
Jahre alt.
Die beschriebenen Entwicklungen und Umstände sind eine Erklärung für die
zunehmende Resignation und Unzufriedenheit des Herzogs Wilhelm in seinen letzten
beiden Lebensjahrzehnten; dieses hatte zur Folge, dass er von vielen Landesbewohnern
als menschenscheu und griesgrämig angesehen wurde. Dem Sibyllenorter Lehrer
Gustav Rolle hatte Wilhelm erzählt
1
, dass er den Braunschweigern den Aufstand des
Jahres
1830
, der seinem Bruder den Thron gekostet habe, nicht vergessen könne. Und
der Sprachlehrer Dr. Wilhelm du Roi aus Braunschweig schrieb
2
am
19
. Oktober
1858
an
seinen Freund Wilhelm Bitter in England: „Aber der Herzog hat nun einmal eine
unüberwindliche Scheu vor allem Öffentlichen!” Wenige Monate zuvor hatte du Roi
eine ähnliche Einschätzung an Bitter gegeben: „Der Aufenthalt hier sei ihm [Wilhelm]
lästig; so wie er Braunschweig im Rücken habe, sei er lustig und ein ganz anderer; in der
Hauptstadt wieder angelangt, läge es ihm wie ein Mühlstein auf der Brust.” Die Intrigen
gegen seinen Bruder im Jahre
1830
und der Groll wegen
1848
, so vermutet der
Sprachlehrer, seien die Ursachen seiner hiesigen Griesgrämigkeit und Unlust.
Spätestens seit den Gerüchten im Jahr
1836
über Wilhelms angeblich bevorstehende
Verlobung mit Prinzessin Victoria von Großbritannien war bekannt
3
geworden, wie sich
Karl vehement gegen eine derartige, feste Verbindung seines Bruders gewehrt hat. Und
als Bitter im Jahre
1866
an Karl ein Gerücht über eine wahrscheinliche Heirat Wilhelms
mit der Prinzessin Luise von Mecklenburg-Schwerin weitergibt (Anhang
7.3
), regt er
gleichzeitig eine Protestnote hierzu an, denn damit könnte man „zweifelsohne die
Flitterwochen trüben.”
10