Österreich erreichbar gewesen wäre, quasi als kleindeutsche Einheit, ist nicht energisch
nachgegangen
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worden, obgleich natürlich über kleindeutsche Lösungen mit Preußen
an der Spitze wenig erfolgreich, aber ausgiebig, diskutiert worden ist. Denn jede Einheit
ist zunächst mit einem Machtzuwachs für den Zentralstaat, zu Lasten der übrigen
Teilnehmerstaaten verbunden. Selbst wenn innerhalb einer derartigen Staatengemein-
schaft ein föderalistisches System aufgebaut wird, mit gleichzeitiger Machtverteilung
auf Länder, Provinzen oder Gemeinden, verbleiben noch so viele Kompetenzen bei der
Zentrale zu Lasten der bisherigen Souveräne, dass Zweifel angebracht sind, ob
1848
die
Zeit und das Bewusstsein der Fürsten und Bürger für derartig folgenreiche
Machtverlagerungen reif gewesen sind. Bei aller Begeisterung für die nationale Einheit,
hätten viele Bürger und Abgeordnete mit Sicherheit den „Teufel im Detail” bei den
weiteren Verhandlungen entdeckt. Mit dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV.,
den man in der Frage der deutschen Einheit zur „Jagd tragen musste”, waren Lösungen,
die nur einen Hauch Revolution in sich trugen, nicht zu machen. Er hatte
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noch
1847
erklärt: „Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herren dienen.” – Und nicht in erster
Linie dem Staat, wie es noch sein Vorfahre, der große Friedrich, vielfach hervorgehoben
hatte. Auch Heinrich von Gagern, der Präsident der Frankfurter Nationalversammlung,
ist mit seinen Vorstellungen über einen engeren Bund ohne die Wiener Monarchie
gescheitert, noch bevor die Einzelheiten der Machtverlagerungen überhaupt erörtert
worden waren.
Das Kaiserreich, das im Jahre
1871
im Kaisersaal von Versailles als „Kleindeutsche
Lösung” – also ohne Österreich – unter Führung Preußens ausgerufen worden ist, wäre
ohne den preußisch-österreichischen Krieg im Jahre
1866
nicht denkbar gewesen.
Gegensätzliche Meinungen der Großmächte zur Lösung der schleswig-holsteinischen
Frage und zur Bundesreform waren der äußere Anlass zu dieser Auseinandersetzung, bei
der es in Wirklichkeit um die preußische oder österreichische Vorherrschaft in
Deutschland ging. Preußen, das aus diesem Krieg nach der Schlacht von Königgrätz am
3
. Juli
1866
als Sieger hervorgegangen war, hatte infolge der Annexionen der Stadt
Frankfurt, des Herzogtums Nassau, des Kurfürstentums Hessen mit der Hauptstadt
Kassel und des Königreichs Hannover an Größe, Wirtschaftskraft und strategischer
Beweglichkeit erheblich gewonnen und konnte in dieser Situation der Stärke Österreich
aus dem deutschen Staatenverbund herausdrängen, den Deutschen Bund nach
fünfzigjährigem Bestehen auflösen und den Norddeutschen Bund neu gründen.
Bismarck war der festen Überzeugung, dass er ebenfalls die süddeutschen Staaten – in
welcher Form und aus welchem Anlass auch immer – bei nächster Gelegenheit zu einer
weiteren und engeren Zusammenarbeit oder gar zum Zusammenschluss bringen würde,
trotz des intensiven Werbens von Seiten Österreichs und Napoleons III. um die Gunst
der deutschen Staaten südlich der Mainlinie.
Wie stellten sich die europäischen Großmächte zur Annexion des Königsreichs
Hannover? Immerhin hatte das geschlagene Österreich durch energisches Auftreten
verhindert, dass seine sächsischen Verbündeten in Preußen einverleibt wurden, was für
Preußen fast „beschlossene Sache” gewesen ist. Hans Philippi äußert
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sich zu dieser
interessanten Frage: „Der alte Bund, zu dessen Verteidigung man aus Hannover
ausgezogen war, war tot, und niemand machte sich zum Fürsprecher des Königs von
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