Seite 21 - Karl_und_Wilhelm_3

Basic HTML-Version

nicht übereilt und nicht nach Gutdünken abgemacht werden könnte.” Trotz des
offensichtlichen Unwillens des Herzogs Wilhelm, derartig heikle Fragen öffentlich zu
diskutieren, waren Gespräche, Vermutungen und Gerüchte dieser Art nicht aufzuhalten,
und wurden Anfang der sechziger Jahre immer lauter, so dass der Herzog gar nicht
umhin konnte, sich dieser Frage zu stellen, obgleich er der Meinung war, dass die
Nachfolge im §
14
der Landschaftsordnung vom
12
. Oktober
1832
, der gültigen und
allseits anerkannten Verfassung, verbindlich geregelt sei. Danach war vorgesehen, dass
die Vererbung im Gesamthaus Braunschweig-Lüneburg nach der Linealerbfolge
23
und
dem Erstgeburtrecht, und zwar zunächst im Mannesstamm, zu erfolgen habe.
So klar diese Aussagen, ebenso wie die Hausverträge aus früheren Jahrhunderten
zugunsten der hannoverschen Welfen, auch gewesen sein mögen, zahlreiche Juristen
beschäftigten sich mit der Problematik und kamen – erwartungsgemäß – zu unter-
schiedlichsten, teilweise abenteuerlichen und gegensätzlichen Ergebnissen. Justizrat
Otto Bohlmann aus Berlin führt den Nachweis, dass die Hohenzollern mit Herzog
Wilhelm näher verwandt seien als die hannoverschen Welfen, die durch die neue
Landschaftsordnung von
1832
zwar begünstigt seien, was jedoch durch ältere Verträge in
Frage
24
gestellt würde. Andere Autoren
25
bezweifeln die Rechtsgültigkeit der Verfassung
von
1832
, weil die agnatische Zustimmung nicht eingeholt worden sei und Wilhelms
Rechtsstellung zu diesem Zeitpunkt höchst fragwürdig gewesen sei. Wie sollte man mit
möglichen Ansprüchen des Diamantenherzogs verfahren, falls dieser seinen Bruder
Wilhelm überleben sollte? Und eine weitere Frage war in einer anonymen Schrift des
Jahres
1861
aufgeworfen
26
worden: Kann der blinde König Georg infolge seines körper-
lichen Gebrechens in Braunschweig überhaupt die Regierung übernehmen?
Eine im Jahre
1861
in Berlin erschienene, anonyme Schrift untersucht die
Rechtsverhältnisse der braunschweigischen Thronfolgefrage und tritt für den Anschluss
Braunschweigs an Preußen ein und begründet dieses mit praktischen und rechtlichen
Argumenten. Der Autor meint, Preußen dürfe keine Bedenken haben, zu einem
„Anschluss des Herzogtums die Hand zu reichen, sobald das braunschweigische Volk
auf irgend eine unzweifelhafte Weise seinen Wunsch, mit Preußen vereinigt zu werden,
zu erkennen gebe.” Schließlich sei es die erklärte Politik Preußens, „dass auf dem legalen
Weg der Reform und unter Respectierung der bestehenden Rechte, die gerechten
Wünsche der Völker zu befriedigen seien.” Viele Braunschweiger hatten sich zwar
damit abgefunden, dass die Hannoveraner Welfen nach Wilhelms Tod in Braunschweig
das Erbe antreten würden, gleichwohl sahen
2
/
3
der Bevölkerung darin „eine höchst
unerfreuliche Perspektive”, weil sie befürchteten
27
, „der König werde nach dem Antritt
seines Erbes die braunschweigische Verfassung von
1832
ebenso wenig achten wie die
hannoversche von
1848
und außerdem das Herzogtum in das Königreich Hannover
einverleiben und in die Stellung einer Landdrostei herabdrücken.”
Außerdem sei zu berücksichtigen, so ist in der anonymen Berliner Schrift des Jahres
1861
zu lesen, „welcher [Vorteil] durch die Verbindung der östlichen Provinzen mit den
westlichen, vermittelst Braunschweigs, dem Preußischen Staat zu Theil werden würde.
Seine Regierung hat schon jetzt mit Hindernissen zu kämpfen, die ihr bei den zum
Besten des Königreiches abzielenden Unternehmungen von Hannover in den Weg
gelegt werden, in welcher Hinsicht man z. B. nur an die diesseits gewünschte directe
21