Seite 50 - Karl_und_Wilhelm_3

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Zimmern harren, gar böses Blut erwecken soll. Frl. F., aus Leipzig gebürtig, war im
Corps de Ballett und soll jetzt mit Gewalt Solotänzerin spielen, was aber nicht eben zu
[so?] gut ausfällt. Sie ist sehr jung, sehr hübsch gebaut, nicht zu stark aber doch
wellenförmig genug, dunkelblond resp. hellbraun, hat einen prächtigen üppigen
Haarwuchs und soll sehr gutmüthig sein. Obgleich diese und viele der früheren
Auserwählten sehr schön genannt werden können, (Diese hat ein edles Profil, hübsche
Augen und einen blendenden Teint, dabei das Gepräge großer Jugendlichkeit), so reicht
doch keine in der Erinnerung vieler, die sich der Zeit zu entsinnen vermögen, dem Frl.
Dermer aus den zwanziger Jahren, wie man zu sagen pflegt, das Wasser.
Die Franke soll alles über den H. vermögen, aber ihren Einfluss nicht so benutzen,
wie es vielleicht möglich wäre. Ihr zu Ehren ist vor wenigen Wochen ein
Subscriptionsball
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im Theater veranstaltet. Hoher Adel und Beamte, alle sind
hinbefohlen und haben ihre Töchter, ob sie nun wollten oder nicht, mit der Ballett-
Tänzerin und anderen Theaterdamen herumspringen lassen müssen.[....]. Du kannst
Dir leicht denken, wie viele Anekdoten und Geschwätz in Folge dieses in der Stadt
circuliren. Einige der adligen Damen zogen in der Ronde [Begrüßungsrunde] die Hand
von der gefeierten Tänzerin zurück, andere, und zwar die meisten, zogen sich sogar nach
dem zweiten Tanz in die Logen zurück u. die dirigierenden Lieutnants erklärten, der
Ball müsse sistirt [angehalten, unterbrochen] werden, worauf einige Stücke
Unterhaltungsmusik erfolgten. Bald giebt der Hofmarschall von Münchhausen (der
Sohn des ehemaligen Ober-Staatsrathes) dem H., der in seinem Logen-Zimmer eine
Partie macht, Kunde von dem Ungeheuren! [...]. Der Herrscher tritt in seine Loge, wirft
einen zürnenden, befehlenden Blick auf den Saal mit der geflüchteten Noblesse u. eine
nach der anderen ziehen sie, wie begossene Pudel, wieder hinunter auf den Tanzplatz, in
das Unvermeidliche sich fügend, u. raunen raisonirend, nie wieder einen solchen Ball
besuchen zu wollen. Aber schon am 4ten dieses Monats waren sie fast alle wieder auf
dem zweiten derartigen Subscriptionsball, der viel stärker besucht war, als der erste, weil
man bei der Aufforderung zur Subscription einige Stufen tiefer gegangen war und viele
Kaufleute und Fremde zugegen hatte. Fräulein Franke überstrahlte wieder Alles und
tanzte mit Offizieren und jungen Beamten um die Wette. Der Herzog ist, nach dem
Ausspruch der Betheiligten, höchst liebenswürdig gewesen, hat sich verschiedenen sonst
nicht beachteten Neureichen vorstellen lassen, mit ekligen alten Weibern, Jüdinnen,
Christinnen einige Worte gewechselt, mit einem Worte sich populair zu machen
gesucht. Dass aber dies Alles hier und in den Nachbarstädten, besonders in Hannover,
stark critisirt wird, kannst Du Dir leicht vorstellen. [...]. Ein jüdischer Banquier, Itzig
Jüdel, geht in einer Pause in eine dem Theater gegenüberliegende Restauration. Er ist
ganz glücklich, da der Herzog mit seiner einst als Schönheit berühmten Gemahlin
(Tochter des Pferde-Philisters Jacobi) einige zarte Worte geredet und platzt einem dort
sitzendem Advokaten (Ludwig Röpcke) mit dem Ausrufe ins Gesicht, ‚Ei, ei Herr
Notar, Sie nicht drüben?’ Worauf dieser gelassen erwiderte, er könne nicht zu dem
Vergnügen gelangen, weil bei den Einladungen allen denjenigen, welchen man
Ehrenhaftigkeit genug zutraue, nicht mit Theater-Prinzessinnen u. etc, etc, zu tanzen,
keine Beachtung geschenkt worden. Die Offiziere, die eben dort getanzt, steckten dies
ruhig in die Tasche und lachten. [...]. Der Herzog lebt jetzt übrigens ganz mäßig, trinkt
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