Seite 52 - Karl_und_Wilhelm_3

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Franke, ein in der That sehr schönes Geschöpf, sitzt wieder ganz fest im Sattel. Sie soll
ein sehr kindliches Gemüth haben. So hat ihr der Herzog auf ihren Wunsch, eine große
Puppe geschenkt, mit welcher dann niedlich gespielt wird. Auch werden zuweilen
Überraschungsspäßchen gemacht. Die Franke begibt sich gelegentlich in des Herzogs
Abwesenheit auf dessen Zimmer, zieht dessen Schlafrock an, setzt seine Militärmütze auf
etc. und placirt sich, die Cigarre im Mund, auf dem Sopha in die gewohnte Ecke, so dass
der dann eintretende Herzog einen Doppelgänger zu erblicken glaubt. [...].
Jetzt wird nun bald die Quadriga
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auf das Schloss gesetzt werden, an der man schon
lange arbeitete. Es war ein Geschenk vom Jubiläum des Herzogs her. Er selbst wendet
an allen hiesigen herrschaftlichen Gebäuden nichts an. Die Hinterseite des Schlosses ist
noch immer unvollendet. Die sehr hübsche Schloss-Capelle, noch im rohen Stein
stehend, dient zum Holzstall; sogar Neu-Richmond ist ohne Meubeln u. elende
Papiertapeten ersetzen die weggenommenen Draperien. Ein Hauptgrund
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dieser
Vernachlässigungen soll übrigens, wie ich höre, in dem Umstande liegen, dass schon von
1848
her große Verluste in Staatspapieren eingetreten u. durch auswärtige Speculationen
das Privatvermögen überhaupt sehr vermindert sei, so dass es damit, außer dem
Einkommen von Öls, so sehr viel nicht mehr auf sich habe.”
Weitere Briefe des Braunschweiger Sprachlehrers aus den folgenden Jahren sind im
Genfer Nachlass des Herzogs Karl nicht enthalten, was darauf zurückzuführen sein
wird, dass Wilhelm Bitter diese Korrespondenz nicht an den Herzog weitergegeben hat.
Von Marie Franke ist immerhin aus den Aufzeichnungen
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Paul Zimmermanns
bekannt, dass sie in der Zeit von
1861
bis
1865
„schmachtende” Liebesbriefe an Wilhelm
geschrieben hat, dann nach Bad Schwalbach bei Wiesbaden ging und von hier nach
Elbing, wo sie geheiratet hat. In Braunschweig folgte ihr seit dem Jahre
1863
am Theater
und im Herzen Wilhelms die Solotänzerin Franziska Gernreich, Tochter eines Braun-
schweiger Juweliers. Bis
1874
währte diese Beziehung mit allen Höhen und Tiefen, und
wäre wohl vom Herzog aus nicht beendet worden. Er hat, wie seinen Aufzeichnungen zu
entnehmen ist, Franziska sehr geliebt und die Trennung ist ihm überaus schwer gefallen.
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Herzog Wilhelm (
1806
1884
)
Schloss Sibyllenort, etwa 1880