Nur die Einsicht, dass Franziska, die er im Laufe der Jahre zur vermögenden Frau gemacht
hatte, auch an ihre eigene Zukunft denken müsse, hat ihm den Abschied immer noch
schwer aber doch erträglich gemacht. Natürlich hatte er in seine Überlegungen auch
einbezogen, dass er bereits
68
Jahre alt und mithin
40
Jahre älter als Franziska war.
4.2 Die Primaballerina Franziska Gernreich
Wie dem Dichterfürsten von Goethe bei Ulrike von Levetzow wird es dem
Braunschweiger Herzog Wilhelm ergangen sein, als er
1863
, immerhin auch schon
57
Jahre alt, zu der siebzehnjährigen Tänzerin Franziska Gernreich, seit
1862
am
herzoglichen Theater engagiert, Verbindungen aufnahm, aus denen sich ein intensives
Liebesverhältnis – zumindest aus der Sicht von Wilhelm – entwickelte. Zahlreiche
Begegnungen, glückliche und unglückliche Begebenheiten dieser Beziehung hat Herzog
Wilhelm in seinen Tagebüchern beschrieben und festgehalten, die allerdings für die
Jahre
1862
,
1863
und
1864
nicht überliefert worden sind, so dass wir für den Anfang dieser
Verbindung, selbst was die Geburt des – angeblich – gemeinsamen Sohnes Berthold
angeht, auf Vermutungen angewiesen sind.
Aufgrund des Geburtstages von Franz Max Berthold,
28
. August
1864
, kann man
davon ausgehen, dass die Tänzerin und der Herzog mindestens seit Jahresmitte
1863
intensive Beziehungen unterhalten haben; Wilhelm pflegte in seinem Tagebuch mit
entsprechenden Kürzeln über den Umgang mit der holden Weiblichkeit Aufzeich-
nungen zu machen, um nicht unberechtigt als Vater angegeben zu werden. Da Wilhelm
die Vaterschaft bei Franziskas Sohn Berthold zu keiner Zeit in Frage gestellt hat, scheint
das Verhältnis in der Tat im Verlaufe des Jahres
1863
begonnen zu haben.
Dies alles schließt jedoch nicht aus, dass Franziska etwa zeitgleich auch mit dem
jungen Offizier Otto v. Bernewitz
522
ihr Glück gesucht hat. Wilhelm nennt zu dieser
Zeit das Kürzel B recht häufig, und scheint auch auf diesen überaus eifersüchtig
gewesen zu sein, denn er sagte Franziska Ende Januar
1865
„unverblümt”, wenn B intim
zu werden wünscht, dann aber bitte nicht auf seine Kosten. Franziska, die B am
Sonntag, dem
29
. Januar
1865
, getroffen hatte, erwiderte gleichermaßen unerschrocken,
ihr Befinden hätte an diesem Tage ohnehin keine Intimitäten zugelassen
523
.
Anlass zur Nachdenklichkeit gibt auch eine Tagebuch-Eintragung des Herzogs vom
19.
Mai
1865
: „Bernewitz
2.400
[rthl?] Schulden, versprochen sie zu bezahlen, wenn er
verheiratet ist. G
524
von
1
/
2
6
bis
9
Uhr.” Zahlreiche anonyme Hinweise, die Franziskas
Verhältnis zu dem Premierleutnant Otto von Bernewitz im Detail beschreiben, und dem
Herzog Wilhelm insbesondere im Jahre
1867
übergeben wurden, bestärken den Ver-
dacht, dass die Beziehung zu Bernewitz, die Franziska anfangs immer abgestritten hatte,
doch sehr intensiv war und schon länger bestand. Auch ein Dialog, den der Herzog im
Februar
1866
mit Franziska geführt hat, verleitet zu derartigen Überlegungen.
Wilhelm war hinterbracht worden, dass Franziska mit Bernewitz zu Abend gegessen,
heftig geflirtet und getanzt habe. Er notierte: „Ich sagte, ich könnte ihr Verhalten nicht
begreifen, sie könne nicht [plötzlich] einen Mann lieben, den sie seit drei Jahren kennen
würde, dass es mich sehr unglücklich gemacht habe, dieses alles zu hören, und würde
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