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Kapitel 5
Thronfolge, Regentschaft, Wilhelms Tod und
die Regenten
Im Zusammenhang mit der Nachfolge des Herzogs Wilhelm sind Thronfolge und
Regentschaftsfrage in Braunschweig, Hannover und Berlin leidenschaftlich und
teilweise auch gegensätzlich diskutiert worden. Zahlreiche Juristen, überwiegend
Braunschweiger, beteiligten sich – offen oder auch anonym – mit Diskussionsbeiträgen
an dem Streit über die Thronfolge und waren mit Vorwürfen, wie Nichtbefolgung
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des
Huldigungseides, Landesverrat, falsches Taktieren gegenüber den preußischen Macht-
ansprüchen, schnell zur Hand. Einige Braunschweiger Juristen, die noch anlässlich der
Vertreibung des Herzogs Karl in den Jahren
1830
und
1831
sich über legitime, fürstliche
Rechte Karls hinweggesetzt hatten und für pragmatischen Lösungen eintraten,
bestanden jetzt auf strenger Einhaltung des Rechts. Herzog Wilhelm, dessen etwas
einfältigen und blauäugigen Wahlspruch „Recht muss doch Recht bleiben!” jedermann
kannte, schaltete sich häufig in die Streitgespräche ein und aufgrund zahlreicher
Eintragungen in seinen Tagebüchern kann man zuverlässige Aussagen darüber treffen,
wie er persönlich die Fragen seiner Nachfolge (Sukzession) beurteilt hat. Aufschluss-
reich ist in diesem Zusammenhang sein Briefwechsel mit dem Großherzog Peter von
Oldenburg. Einige dieser Briefe hat Wilhelm für sein Tagebuch abgeschrieben (Anhang
7.4
), wobei er zwischen Privatbriefen und offiziellen Schreiben unterschied. In seinem
Tagebuch für das Jahr
1873
notierte er auf Blatt
31
:
„31
. März, an den Großherzog von
Oldenburg geantwortet wegen Seiner Bedenken über die Regentschaft. –
1
. April,
Officielles Schreiben an den Großherzog v. Oldenburg über die Regentschaft.”
Die Schwierigkeiten bestanden vor allem darin, dass einerseits nach der neuen
braunschweigischen Landesverfassung vom
12
. Oktober
1832
14
) und in älteren
welfischen Hausverträgen festgelegt war, dass bei Aussterben einer Linie die andere die
Thronfolge anzutreten hatte; Linealerbfolge war verbindlich vereinbart worden, wonach
nicht die Nähe der Verwandtschaft sondern die Nähe zur Linie (hier: Welfenlinie) für
die Erbfolge bestimmend sein sollte. Zahlreiche Juristen haben sich mit der Rechts-
problematik auseinandergesetzt und mehr Probleme geschaffen als gelöst, wie Staatsrat
Dr. Zachariä, Professor in Göttingen, bereits im Jahre
1862
treffend formuliert
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hat:
„Wir haben in Deutschland mancherlei von unseren westlichen Nachbarn gelernt, leider
aber mehr Schlimmes als Gutes. Zum Schlimmen gehört jetzt auch die Kunst, Fragen