Seite 57 - Karl_und_Wilhelm_3

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Königs, die ihn „nach allgemeinen staatsrechtlichen Grundsätzen zur selbständigen
Regierungsführung unfähig” mache, in der Thronfolge nicht berücksichtigt werden
könne; schließlich habe auch Herzog Karl Wilhelm Ferdinand im Jahre
1806
seine
Nachfolge unter diesen Gesichtspunkten geregelt und seinen vierten und jüngsten Sohn
Friedrich Wilhelm zu seinem Nachfolger bestimmt. Außerdem sei Hannover von der
Thronfolge auszuschließen, da die nach §
14
der Landesverfassung aus dem Jahre
1832
geforderte Ebenbürtigkeit nicht gegeben sei, weil die Großmutter von Georg II.,
Eleonore d’Olbreuse (hierzu: Anhang
7.1
), nicht dem hohen Adel angehört hätte.
Der braunschweigischen Regierung war diese Argumentation besonders unangenehm,
weil den Vorwurf der nicht vorhandenen Ebenbürtigkeit auch die Hohenzollern gegen
sich gelten lassen mussten, da die Enkelin der d’Olbreuse, Sophie Dorothea, die Mutter
von Friedrich II. von Preußen gewesen ist. Außerdem waren die aktuellen Beziehungen
zur jüngeren Welfenlinie ohnehin wegen der Planungen für die Eisenbahn von Kreiensen
nach Holzminden getrübt, weil die Hannoveraner dadurch eine Beeinträchtigung des
Ost-West-Verkehrs ihrer eigenen Eisenbahn befürchteten; trotzdem ist die Bahnstrecke
nach Holzminden dann
1865
realisiert worden. Im Jahre
1861
erschien noch eine weitere
Veröffentlichung zur Thronfolge in Braunschweig von Eduard Wedekind
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bei Wiegand
in Leipzig, die dem angeblichen Erlöschen der agnatischen Erbrechte als Folge des
Wiener Kongresses widersprach und als Antwort auf die Berliner Broschüre gedacht war.
Jetzt sah sich auch der bekannte Berliner Anwalt Dr. Otto Bohlmann veranlasst,
wohl in Abstimmung
612
mit dem preußischen Außenminister Alexander von Schleinitz,
aus der erheblich näheren Verwandtschaft der Hohenzollern zur älteren Welfenlinie in
Braunschweig, Ansprüche für Preußen herzuleiten. In seiner
1861
in Berlin erschienen
Denkschrift über die prioritätischen Ansprüche Preußens an das Herzogthum
Braunschweig-Wolfenbüttel geht
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der Doktor der Philosophie und beider Rechte auch
auf die vorgebrachte fehlende Ebenbürtigkeit der Hannoveraner ein, wohl, weil er seine
Objektivität unter Beweis stellen wollte, aber auch weil mit diesem Argument ebenfalls
die von ihm vertretenen preußischen Ansprüche hätten abgewehrt werden können:
„Sollte der König von Hannover vermöge seines Verwandtschaftsverhältnisses zu
Braunschweig als Nachfolger des letzten Herzogs betrachtet werden können, so lässt
sich seine Erbfolgefähigkeit nicht, wie in einer jenen Flugschriften geschehen, durch
Berufung auf eine angebliche Mißheirath des hannöverschen Königshauses von der
Hand weisen. Denn die als unebenbürtig bezeichnete Verbindung der Eleonore
d’Olbreuse mit dem Herzog Georg Wilhelm von Celle, dem Schwiegervater König
Georgs I., ist vom Kaiser in aller Form zur ebenbürtigen erhoben worden; die
d’Olbreuse und ihre an Georg I. verheirathete Tochter haben herzoglichen Rang gehabt,
den ihnen der Kaiser zu einer Zeit verliehen, als seine diesfällige Competenz noch
unstreitig und uneingeschränkt war. Uebrigens gehört die d’Olbreuse durch ihre mit
König Friedrich Wilhelm I. vermählte Enkelin Sophia Dorothea auch unter die Ahnen
unseres eigenen preußischen Königshauses!” Besonders intensiv setzt sich Staatsrat Dr.
Heinrich Zachariä mit Bohlmann Argumenten auseinander
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und wirft ihm vor, alte
welfische Hausgesetze nur ungenügend genutzt zu haben, oder falsche Schlüsse daraus
gezogen zu haben, sonst hätte er sich nicht für das cognatische Erbrecht einsetzen
können, und auch der von ihm vorgenommene Nachweis, dass spezielle Ansprüche
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