Seite 59 - Karl_und_Wilhelm_3

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drittes Fürstenhaus mit irgendwelcher Berechtigung sich in die Nachfolge Hannovers in
Braunschweig einzumischen habe.”
Bismarck ließ sich durch diese welfischen Vereinbarungen überhaupt nicht von seiner
unnachgiebigen Haltung abbringen und erklärte, dass die jüngere hannoversche Linie
bezüglich eines Regierungsantritts in Braunschweig behindert sei und die dortige
Nachfolge im Falle des Todes von Herzog Wilhelm nicht antreten könne, weil damit
der Reichsfrieden in Frage gestellt wäre, zumindest so lange wie der ehemalige König
Georg V. der nach
1866
erfolgten Annexion Hannovers durch Preußen für sich und seine
Erben die Anerkennung verweigern würde.
In diesem Sinne hat dann auch der Herzog Ernst August von Cumberland, diese
Einstellung seines Vaters nach
1878
bekräftigt und allen deutschen Fürstenhäusern
angezeigt. Damit habe er, nach Meinung vieler Zeitgenossen, Bismarcks rigoroses
Vorgehen gegen die jüngere Welfenlinie zum Teil gerechtfertigt, aber auch Wohl-
meinende, wie seinen Onkel Großherzog Peter von Oldenburg, der mit einer Schwester
seiner Mutter verheiratet gewesen ist, und selbst Herzog Wilhelm überrascht und
zumindest verwundert, wohl auch verärgert. Als nun im Oktober des gleichen Jahres
König Christian IX. von Dänemark die Verlobung seiner jüngsten Tochter Thyra mit
dem Herzog Ernst August anzeigte, waren viele Fürstenhäuser erfreut, angeblich sogar
die Hohenzollern, nicht jedoch deren tonangebender Vertrauensmann, Reichskanzler
Otto von Bismarck.
Bismarck, der die Aufwertung des Hannoveraners durch die künftige Verwandtschaft
fürchtete, war entgegengesetzter Ansicht, was er vorerst aber nicht offenbarte. Immerhin
war nun, zusätzlich zu der Unterstützung durch Windthorst und das Zentrum sowie
durch die Welfenanhänger, noch das dänische Königshaus getreten. Dazu kam die
Schwägerschaft mit den Thronfolgern von Russland und Großbritannien, welche beide
nicht zu den unbedingten Freunden des deutschen Reiches zu rechnen waren. Bismarck
sei über diese Entwicklung so verärgert gewesen, dass er gedroht habe, Ernst August bei
einer Durchreise durch preußisches Gebiet, verhaften zu lassen,
619
wie Philippi mitteilt.
5.1 Thronfolge und Regentschaft
Natürlich hatten sich nach Langensalza und Königgrätz sowie den Nikolsburger und
Prager Friedensgesprächen die Akzente in der braunschweigischen Thronfolgefrage zu
Ungunsten der Welfen verschoben. Zwar beharrten die Hannoveraner Fürsten weiter-
hin hartnäckig auf ihren Ansprüchen in Hannover und Braunschweig, aber nach
Ausrufung des Kaiserreichs am
18
. Januar
1871
unter Führung des preußischen Königs
Wilhelm I., war die Begeisterung über die endlich erreichte deutsche Einheit und der
Siegestaumel wegen der Niederlage des Erzfeindes Frankreich so groß, dass die
Beschränkung der Souveränitätsrechte der einzelnen deutschen Staaten und der
beträchtliche Machtzuwachs Preußens demgegenüber vorerst kaum „ins Gewicht
fielen”, zumindest wurde darüber nur „hinter vorgehaltener Hand” diskutiert.
Die Verbindung Preußens mit seinen westlichen Landesteilen war durch die
Annexion Hannovers und durch die mittlerweile preußische Provinz Hessen-Nassau
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