wurde von seinem Vater scharf kritisiert und erhöhte die Spannungen zwischen König
Wilhelm und Bismarck auf der einen und dem Kronprinzenpaar auf der anderen Seite.
Hinzu kamen Versuche Österreichs, durch einen Fürstenkongress am
17
. August
1863
in
Frankfurt, alte Vorherrschaften zurückzugewinnen.
Verständlich, dass in dieser Situation, der preußische Ministerpräsident andere
Sorgen hatte, als die hannoversche Frage und die Thronfolge in Braunschweig zu regeln.
Er spürte offensichtlich: Die Frucht war noch nicht reif! Erst drei Jahre später, nach
Langensalza und Königgrätz, hatte sich Preußens Verhandlungsposition dank seiner
beeindruckenden militärischen Überlegenheit erheblich verbessert und Bismarck war
wieder unumstrittener Herr des Verfahrens.
Zu der Frage, ob vor
1866
Preußen auch an eine Annexion Braunschweigs gedacht
habe, hat nach eingehendem Quellenstudium Hans Philippi
623
gewisse Zweifel geäußert:
„Man könnte aus dem publizistischen Vorspiel um die braunschweigische Thronfolge-
frage einen Besitzwillen Preußens ableiten. Indessen fehlen hierfür doch die entscheiden-
den Voraussetzungen. Wenn man in Berlin die Geltendmachung eines Erbrechtes an
Braunschweig prüfen ließ, entsprach das dem Stile älterer fürstlicher Territorialpolitik.
[...]. König Wilhelm war zu betonter Legitimist, um dem hannoverschen Vetter durch
Anfechtung des Erbanspruches, die Krone Braunschweigs vorenthalten zu wollen.
Bismarck hingegen sah in den älteren hausgesetzlichen Ansprüchen kein Mittel, um den
staatlichen Ehrgeiz des preußischen Großstaates zu befriedigen.”
Kurz bevor mit dem preußisch/österreichischen Kriege von
1866
und der Schlacht
von Langensalza Ende Juni das Unglück über Georg V. und sein Königreich
hereinbrach, hatte der König am
1
. Mai
1866
den Kronoberanwalt in Celle und früheren
hannoverschen Justizminister Dr. Ludwig Windthorst beauftragt
624
, den „in Aussicht
stehenden Anfall Braunschweigs an die Krone Hannover” und alle damit im
Zusammenhang stehenden Fragen vorzubereiten. Die Durchsetzung der dynastischen
Interessen des hannoverschen Königshauses, die ja mit der preußischen Annexion nicht
erledigt waren, sondern noch an Umfang und Brisanz gewonnen hatten, aber auch die
führende Rolle Windthorsts bei der Durchsetzung katholischer Belange in seiner
Eigenschaft als führender Politiker des „Zentrums” im Rahmen des Kulturkampfes,
brachten den früheren hannoverschen Justizminister in einen scharfen Gegensatz zum
preußischen Ministerpräsidenten und späteren Reichskanzler Otto von Bismarck.
Windthorst vertrat in einem Brief von August
1869
an den vormaligen hanno-
verschen Außenminister Graf Platen die Ansicht, man müsse zur Kenntnis
625
nehmen,
dass nach den Ereignissen von
1866
und nach dem Beitritt Braunschweigs zum
Norddeutschen Bunde „es unmöglich geworden sei, die Sukzessionsfrage nach den
Normen der ihm
1866
gegebenen Instruktionen zu behandeln.” Er würde dem König
empfehlen, nochmals mit Herzog Wilhelm unmittelbar ein Gespräch zu suchen. Platen,
der mit dem König im Exil in Gmunden lebte, beauftragte Windthorst daraufhin, am
braunschweigischen Hofe zu erkunden, wie man dort aktuell die Angelegenheit der
Thronfolge beurteilen würde. „Das Ergebnis ging dahin”, so schreibt
626
Philippi, „dass
die zuständigen Organe des Landes Braunschweig hinsichtlich der Rechtslage fest
blieben, eine Initiative vorerst aber nicht zu ergreifen beabsichtigten, wofür auch die
allgemeine politische Lage nicht sprach.” Offensichtlich sah man jedoch das gesamte
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