Di e f ünf Gesangbuchgenerat i onen i n der Braunschwe i g i schen Landesk i rche
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chen selten günstig. Man ging also nicht mit einem Gesangbuch in der Hand zum Got-
tesdienst. Liedertafeln waren nicht nötig. Die Liedtexte hatten keine Noten, sondern
die Melodien waren am Anfang des Liedes vermerkt. Die meisten Dorfkirchen hatten
keine Orgel. Der Lehrer führte den Gesang. Die insgesamt 931 Lieder stellten eher eine
Sammlung von Liedern dar, so wie es auch Gedichtsammlungen gibt. Diese Lieder-
sammlung enthielt außerdem zahlreiche Gebete für den Sonntagsgottesdienst, Anre-
gungen zu einem andächtigen Beten, einige Ausgaben sogar die ganze Bibel und ver-
schiedene Register.
Die Lieder gliederten sich in Loblieder, zum Kirchenjahr, Katechismusgesänge, Trost-
gesänge, vom christlichen Wandel, in Kreuz und Unglück und besondere Anlässe,
von der christlichen Kirche, menschlichem Elend, Tod und Sterben, Morgen- und
Abendlieder, Reiselieder.
Die „eiserne Ration“ der Lieder, die jeweils im Gottesdienst vor und nach der Predigt
gesungen wurden, waren extra verzeichnet, nämlich Nr. 670 „Herr Jesu Christ, dich zu
uns wend“ (EG 155) oder Nr. 671 „Liebster Jesu , wir sind hier“ (EG 206), und nach der
Predigt Nr. 673 „Nun Gott Lob, es ist vollbracht“ (EG 163) und Nr. 674 „Ach bleib bei
uns, Herr Jesu Christ“ (EG 246).
Zum Kern der Lieder gehörten 27 Lieder von Martin Luther (1483-1546) und andere
aus der Reformationszeit: acht Lieder von Nikolaus Hermann (1480-1561), fünf Lieder
von Nikolaus Selnecker (1528-1592), der kurze Zeit auch in der Wolfenbüttler Kirchen-
leitung tätig war, drei Lieder von Erasmus Alber (1500-1553) und von Elisabeth Creut-
ziger (1500-1535) „Herr Christ der einig Gotts Sohn“. Diese Lieder besangen die Heil-
staten Gottes und Christi. „Gelobet seiest du Jesu Christ“. Von der zweiten, der
nachreformatorischen Liedergeneration stammten allein 35 von Johann Heermann
(1585-1647). Sein Gepräge aber erhielt das Gesangbuch durch 56 Lieder von Paul Ger-
hardt, der 1607 geboren und 1676 verstorben war.
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Die Gerhardt-Lieder waren also
zeitgenössisches Liedgut, das in jede seinerzeit moderne Liedsammlung hinzugehör-
te. Schon Herzog Rudolf August (1627-1704) hatte 35 Gerhardt-Lieder in sein Privatge-
sangbuch von 1672 aufgenommen. Welche Gerhardt-Lieder aber im Gottesdienst ge-
sungen wurden, ist bei der damaligen allgemeinen Kenntnis von ca. 8-12 Liedern sehr
ungewiss. Aber seine Lieder haben sich bewährt. Zehn von ihnen finden sich in allen
fünf Braunschweiger Gesangbuchgenerationen darunter „Wie soll ich dich empfan-
gen“, „Nun lasst uns gehen und treten“, „O Haupt voll Blut und Wunden“, „Befiehl du
deine Wege“, „Wach auf mein Herz und singe“.
Einen weiteren, ausgesprochen erwecklichen Ton brachten die insgesamt 35 Lieder
des Dichters und Pfarrers Johann Rist (1607-1667), der allerdings seine Lieder in seiner
Gemeinde nie singen ließ. Im Neujahrslied „Jesu du mein liebstes Leben“ verklärt Rist