Di e Braunschwe i g i sche Landesk i rche im 20. Jahr hunder t
351
„gewaltigen Hand Gottes“. Neben der traditionellen Fürbitte für die Regierenden weck-
te die Fürbitte für die Verwundeten, die Sterbenden und die Hinterbliebenen die Erinne-
rung an die Schrecken des Krieges, insbesondere die unerbittliche Feststellung dass der
Krieg den Vater, den Sohn, den Versorger „raubt“. Der übereinstimmende Tenor der Got-
tesdienste war: Heimsuchung, Einkehr und Hoffnung auf Sieg.
6
Diese Bußgottesdienste
ließen keinen Raum für fatale Begeisterung zu einem Krieg, wie sie die Berliner Zensur-
behörde verbreitete.
„Ewiger, allmächtiger Gott, der du die Geschicke der Völker lenkst
und über unser aller Ergehen waltest, wir bitten dich, sei in der Not des Krieges,
mit dem wir heimgesucht sind, unserm deutschen Vaterlande starker Helfer und
gnädiger Hort. Du bist unsere Zuversicht und Stärke. Beschirme die von uns
ausgezogen sind zu schwerem Kampfe, tröste die daheim für sie beten. Steh
uns allen bei mit deiner allmächtigen Kraft. Hilf unserem Volke zum Siege
und durch den Sieg zu einem baldigen gesegneten Frieden. Erhöre uns um
deiner ewigen Liebe und Gnade willen. Amen.“
Fürbitte dem sonntäglichen Kirchengebete einzufügen
Aus: Landeskirchliches Amtsblatt, 27. Jg. 1914, S. 106
Die Reaktion der Jugend unterschied sich von der zu Hause bleibenden Elterngenera-
tion. Sie war in der Schule zu Glauben, Gehorchen und Kämpfen erzogen worden.
Jetzt war die Stunde des Kämpfens ausgerufen. Außerdem war die Lust der Jugendli-
chen am Abenteuer, sowie sich den Zwängen in der Schule, am Arbeitsplatz und den
Formen sexueller Repression in der Gesellschaft für ein halbes Jahr zu entziehen,
wohl verständlich.
b) Recht fer t igung des Kr ieges
Hinter der ernsten Stimmung in den Gottesdiensten steckte kein Nein der Kirche zum
Krieg, obwohl es in vielen Städten des Deutschen Reiches Ende Juli zu Protestkund-
gebungen gegen die Herbeiführung eines Krieges gekommen war, denen sich die Kir-
che hätte anschließen können. Im Konzerthaus trafen sich am 28. Juli 1914 5.000
Braunschweiger zum Protest gegen den „Wahnwitz des Massenmordes“.
7
Vielmehr
folgte die Kirche bei ihrer wachsenden Zustimmung zum Krieg dem biblischen Vor-
bild vom „heiligen Krieg“, in dem das auserwählte Volk Israel gegen die heidnischen
Nachbarvölker einen dem Willen Gottes entsprechenden Vernichtungskrieg führt.
8
Wenn also der von Gottes Gnaden berufene Kaiser und Herzog einen Krieg ausriefen,
wurde der Krieg ein religiöser Akt, dem sich das Volk in Buße zu unterwerfen und für
den Waffengang durch die Teilnahme am Abendmahl sittlich zu reinigen hatte. Der
Braunschweiger Herzog und seine Frau ließen sich also vom Domprediger Karl von