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Di et r i ch Kuessner
Schwartz (1873-1943) das Abendmahl reichen, bevor der Herzog „ins Feld ausrückte“,
und Garnisonpfarrer Hermann Fischer (1858-1941) segnete in Anwesenheit des Her-
zogs und der gesamten Braunschweiger Stadtpfarrerschaft beim Feldgottesdienst auf
dem Braunschweiger Nussberg am 5. August abends die angetretenen Regimenter:
„Mit diesem Zeichen des heiligen Kreuzes segne ich Euch, segne ich Eure Waffen, seg-
ne ich die Kämpfenden, die Fallenden und die Sterbenden! Vater ich rufe dich, Vater
erhöre mich, Amen.“ Danach erhielten alle das Abendmahl.
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Außerdem berief sich die Kirche auf die von Augustin entwickelte, seit dem Mittelalter
gültige Lehre vom „gerechten Krieg“. Ein Krieg war demnach vor allem als Verteidi-
gungskrieg, niemals jedoch als Angriffskrieg gerechtfertigt, er sollte den gestörten Frie-
den wiederherstellen und mit verhältnismäßigen Mitteln geführt werden. Die kaiser
liche Propaganda bemühte sich vielfach, die Beteiligung des Deutschen Reiches als
Verteidigung eines bevorstehenden oder gar bereits erfolgten Angriffes darzustellen
und fand mit ihren gezielten Gerüchten von Angriffen französischer Flugzeuge in Süd-
deutschland und vom Einsickern von Spionen im Reich und auch im Braunschweigi-
schen offene Ohren. Pfarrer beteiligten sich mit den Dorfbewohnern am Errichten von
Straßensperren an den Dorfausgängen, um „feindliche Elemente“ abzufangen.
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Aber
schon der völkerrechtswidrige Überfall deutscher Truppen auf das neutrale Belgien be-
deutete einen schweren Verstoß gegen die Prinzipien des gerechten Krieges, noch
mehr jedoch, als braunschweigische Truppen im Ort Roselies die belgische Zivilbevöl-
kerung, deren Gegenwehr als Partisanentätigkeit ausgelegt wurde, zusammentrieb und
in ihren Häusern verbrannte. Trotz dieses sichtlichen Kriegsverbrechens wurde in
Braunschweig 1936 eine Kaserne nach diesem Ort des Schreckens benannt.
Als General Erich Ludendorff imHerbst 1916 den „totalen Krieg“ ausrief und gemeinsam
mit Paul von Hindenburg das Deutsche Reich in eine „militärdiktaturähnliche Gesell-
schaft“ verwandelte, entfiel für die Kirche das bisherige Begründungsmodell vom „ge-
rechten Krieg“. Denn die Doktrin vom „totalen Krieg“ nahm keine Rücksicht mehr auf
die Verhältnismäßigkeit der Kriegsmittel. Sie rechtfertigte den „uneingeschränkten“
U-Boot-Krieg, der auch die zivile Seefahrt treffen konnte, sowie die neuen Erfindungen
der Kriegsindustrie, wie z. B. die Gaswaffen, die zuerst von den deutschen Truppen ein-
gesetzt wurden. Diese deutlichen Verstöße gegen die Kriterien eines gerechten Krieges
machten die evangelische Kirche in der Bejahung des Krieges nicht zurückhaltender.
c) Die Kr iegspredigt
Nach diesem theologischen Modell predigte die Kirche den Krieg als die besondere
Sprache Gottes, den Kriegsschauplatz als einen Ort der intensiven Gottesbegegnung,
den Tod in der Schlacht als ein Opfer für das Vaterland, das zum Glaubensgut hoch-