Seite 69 - Kirchenbuch

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Das Ver hä l tn i s von K i rche und Staat
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zog Julius legitimierte sich aus dem Landesherrlichen Kirchenregiment, das bis 1918
Basis der Allianz von fürstlichem Thron und evangelischem Altar wurde.
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Die 1555 auf
dem Reichtag im Augsburger Religionsfrieden beschlossene Anerkennung der Lehr-
grundlage aller lutherischen Kirchen, der Confessio Augustana, hatte noch gegen ein
kirchliches Bischofsamt entschieden und die reichsrechtliche Ableitung der landes-
herrlichen Kirchengewalt und ihre Einbindung in das von Joachim und Matthias
Stepha­ni entwickelte Episkopalsystem ermöglicht. Danach erhielten die Fürsten ein
treuhänderisch verstandenes Bischofsamt und das Recht, den Bekenntnisstand ihres
Territoriums festzulegen. Proteste etwa von den Mitverfassern der 1569 erlassenen
braunschweigischen Kirchenordnung Martin Chemnitz (1522-1586) oder Jakob
Andreae (1528-1590) gegen die „weltlich-geistliche Omnipotenz der Obrigkeit“ blieben
jedoch folgenlos. Für die kirchliche Verwaltung errichtete Herzog Julius 1569 ein Kon-
sistorium, das zwanzig Jahre später eine Aufwertung als eigenständige Landesbehörde
neben Ratsstube und Hofgericht und 1593 eine Vermehrung seiner Kompetenzen er-
fuhr. Übertrug der Herzog seine Befugnisse dem Konsistorium, konnten einflussreiche
Persönlichkeiten wie der Generalsuperintendent und Mitglied des Konsistoriums Basi-
lius Sattler (1549-1624) die Geschicke der Landeskirche weitgehend bestimmen.
Nach dem 30-jährigen (Religions-)Krieg schrieb der Westfälische Friede 1648 nicht
nur die Souveränität der Einzelstaaten fest, sondern bestätigte auch das Landesherrli-
che Kirchenregiment. Die Landes- und die Kirchenhoheit vereinigend, entzog der
Landesherr im stabilisierten und tendenziell absolutistischen Territorialstaat der Kir-
che ihre Sonderstellung und integrierte sie in das gesamtstaatliche Gefüge. Das lan-
desherrliche Kirchenregiment, leitete sich jetzt nicht mehr aus originärem Kirchen-
recht, sondern dem staatlich-fürstlichen Hoheitsrecht ab. Profilierter Verfechter dieser
Theorie und Politik des Territorialsystems in Braunschweig war Johann Schwartzkopf
(1596-1658), Kanzler und Mitglied des Konsistoriums.
Langfristig entzogen die Herzöge dem Konsistorium wichtige ursprünglich geistliche
Kompetenzen und integrierten sie in die staatliche Administration. Wurde die Verwal-
tung der Klostergüter vom Geheimrats-Kollegium übernommen, gestalteten Abt Jo-
hann Friedrich Wilhelm Jerusalem (1709-1789) und Heinrich Bernhard Schrader von
Schliestedt (1706-1773) unter den absolutistischen Herzögen Karl I. (1713-1780) und
Karl Wilhelm Ferdinand (1735-1806) die Schulpolitik des Landes weitgehend, ohne
das Konsistorium einzubeziehen. Mit dem Übertritt Anton Ulrichs (1714-1774) zum Ka-
tholizismus verlor das Konsistorium gar seine Stellung als selbständiges Organ der Kir-
chenverwaltung, indem es dem Fürstlichen Geheimrats-Kollegium unterstellt wurde.
Die Verlagerung der fürstlichen Residenz zeigte deutlich die Konzentration der Kir-
chengewalt in fürstlicher Hand. An die Stelle des Konsistoriums traten Berater und
das geistliche Ministerium der Stadt Braunschweig. Die einzige Institution, die einer
eigenständigen Kirchenpolitik gegenüber dem Herzog Gehör verschaffen konnte,