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Mielziner berichtet:
Mein Großvater August Roloff war ein in den 80er und 90er Jahren des
19. Jahrhunderts in Braunschweig bekannter Bauunternehmer, dem vor allem
im heute so genannten östlichen Ringgebiet zahlreiche Mietwohnhäuser
gehörten. Er war daher nicht nur wohlhabend, sondern vorübergehend sogar
reich, konnte aber wohl mit solchem Kapital nicht erfolgreich umgehen,
jedenfalls ging das Unternehmen in Konkurs. Als Konkursverwalter wurde
der seinerzeit über Braunschweig hinaus bekannte Benny Mielziner tätig. Das
Verfahren zog sich über den Tod meines Großvaters (1906) hinaus und wurde
seitens der Familie von meinem Vater weitergeführt, der in diesem Jahre am
renommierten Braunschweiger Wilhelm-Gymnasium Abitur machte und
einige Jahre in einer Klasse mit Georg Mielziner, dem zweiten Sohn von
Benny, die Schulbank gedrückt hatte. Mein Vater war wohl bereits damals
überzeugt, dass von einem Juden wie Mielziner kein faires Verfahren zu
erwarten sei, zumal zu den Gläubigern auch ein bekanntes jüdisches Bank-
geschäft gehörte. Mein Vater, der zu dieser Zeit in Berlin studierte, wurde
jedenfalls zum entschiedenen Antisemiten und aktiven Anhänger der völ-
kisch-nationalistischen Konservativen Partei, der späteren Deutschnationalen
Volkspartei, deren parlamentarischer Repräsentant er zur Zeit der Weimarer
Republik wurde. Die Zufälligkeiten seines Lebensweges führten schließlich
die Familie Roloff, in die ich 1926 hineingeboren wurde, 1932 in eine herr-
schaftliche Mietwohnung An der Paulikirche in die unmittelbare Nachbar-
schaft der Familie Gebensleben und der Familie Mielziner, genauer: der
Witwe von Benny und des Sohnes Georg, der dort mit seiner holländischen
Frau Wilhelmine und einer 1928 geborenen Tochter Sophie lebte, bis diese,
vermutlich 1932, nach Holland emigrierten, gleichwohl noch bis 1937 Groß-
mutter Marie und Onkel Bruno in der Kaiser-Wilhelm-Straße besuchten.
Diese Sophie Mielziner war also jene ältere Dame aus Uganda, die an
Hedda Kalshoven geschrieben hatte, dass sie sich als Kinder im Schatten der
Paulikirche gut hätten begegnen können. 2004 besuchte Hedda Kalshoven
Sophie Mielziner-Stam in Uganda, womit eine späte Freundschaft begann.
Und dann folgte eine letzte Berührung der Familie Roloff mit der Familie
Mielziner:
Als sich Bruno Mielziner am Tag nach dem erwarteten Tode seiner Frau
in seiner Wohnung das Leben nahm, nachdem er es abgelehnt hatte, zu sei-
nen Schwestern nach Holland zu emigrieren, suchte mein Vater gerade nach
einer neuen Wohnung für die inzwischen sechsköpfige Familie. Der ihm
bekannte Nahrungsmittelchemiker Dr. Nehring als Besitzer des Hauses Kaiser-
Wilhelm-Straße 35a bot ihm die frei gewordene Wohnung Mielziners an, die
er gern, wenn auch, wie er später zugab, mit einem Gefühl schuldhafter
Beklemmung übernahm, einschließlich einiger Reste der Einrichtung, die
noch den früheren Wohlstand des letzten Inhabers ahnen ließen. Unsere
Familie hat sie bis 1955 bewohnt.