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Dieses alles erfuhr also Sophie geb. Mielziner im Jahre 2004 über Hedda
Kalshoven von mir, und ich von ihr, dass es sehr wohl weit mehr als nur Spu-
ren der Familiengeschichte Mielziner gibt, Lebenswege, die alle ganz oder
vorübergehend nach Holland führten, wo die Familien der Töchter von Benny
und Marie Mielziner weiterleben – unter dem Namen Rulf. Die beiden
Töchter Frieda (geb. 1877) und Emilie, gen. Mimi (geb. 1884) hatten kurz
hintereinander vor dem 1. Weltkrieg (Mimi 1909) in Braunschweig die hol-
ländischen Brüder Ariel und Raphael Rulf (gesprochen: Rülf) geheiratet.
Diese lebten damals in St. Gilles bei Brüssel, waren Ingenieure und betrieben
dort ein technisches Büro unter dem Namen „Rulf Frères“, das sich mit der
Konstruktion und dem Vertrieb von Staubsaugern befasste. Nach dem Tode
ihres Mannes Ari 1917 – er beging Selbstmord – heiratete Frieda 1918 einen
holländischen Offizier und zog ins niederländische Middelburg, dann nach
Venlo und schließlich nach Bergen in Nordholland, wo sie bis zu deren Tod
ihre Mutter betreute. Über den Sohn von Frieda und Ari Rulf gelangte ein
erheblicher Teil des Nachlasses derjenigen Angehörigen der Familie Mielziner,
die sich während der NS-Herrschaft in Holland zusammenfanden, schließlich
an den Enkelsohn Evert Rulf, der so etwas wie ein Familienarchiv verwaltet
und der mir schließlich die entscheidenden Informationen über das Schicksal
und dazu gute Fotografien dieser Familienangehörigen zur Verfügung stellte,
so dass ich nun diese Familiensaga erzählen kann.
Rülf – wo war mir der Name schon begegnet? Dort wo ich zuerst über
Benny und Bruno Mielziner gelesen hatte – in dem unentbehrlichen Buch
„Brunsvicensia Judaica“, das eingeleitet wird von dem Nachdruck eines Vor-
trages, den Gutmann Rülf am 18. Februar 1907 im Geschichtsverein zu
Braunschweig gehalten hat.
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Dr. Gutmann Rülf, geb. 1851 in Holzhausen, wurde 1882 zunächst stellver-
tretender, 1884 braunschweigischer Landesrabbiner, Nachfolger des bekannten
und als Reformer geltenden Dr. Levi Herzfeld. Zu dieser Zeit war der seit 1876
in Braunschweig ansässige und 1885 eingebürgerte Benny Mielziner bereits
Repräsentant der Jüdischen Gemeinde Braunschweig, deren Vorsteher er 1907
wurde und bis 1921 blieb. Es liegt auf der Hand, dass der Vorsteher der größten
Gemeinde des Landes und der Landesrabbiner nicht nur gesellschaftlichen, son-
dern auch engen persönlichen Kontakt pflegten. Es ist ein Umstand von symbo-
lischer Bedeutung, dass seine Grabstelle unmittelbar neben der von Benny Miel-
ziner liegt. Dieser Gutmann Rülf pflegte nämlich die Verbindung zu seinen in
Holland lebenden Verwandten, besonders zu einem Vetter, die sich gegenseitig
besuchten. So lernten sich auch die Familien Mielziner und die niederländische
Familie Rulf kennen. Dieser Vetter hatte zwei Söhne, jene Brüder Ari und Raph,
die dann Benny Mielziners Schwiegersöhne und in der Zeit der NS-Herrschaft
Zuflucht und Mittelpunkt der Familie Mielziner wurden.
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Gutmann Rülf, Alexander David. Braunschweigischer Kammeragent von 1707 – 1765. In: Bruns-
vicensia Judaica (wie Anm. 1), S. 9 – 22.