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Mit solchen Schmähworten belegte die politische Linke in der Weimarer Zeit
die christlichen Kirchen. Im Kaiserreich war die Volksschule eine Unter-
tanenschule unter geistlicher Oberaufsicht gewesen, die Pädagogen hatten den
Kindern Gebet und Gehorsam einzutrichtern. Die Verbindung zwischen Kir-
che und Staat war im Herzogtum Braunschweig besonders eng gewesen –
dies schuf einen heute kaum mehr nachvollziehbaren bildungspolitischen
Konfliktstoff während der gesamten Weimarer Zeit.
Im Weimarer Schulkompromiss einigten sich 1919 SPD, Zentrum und
Deutsche Demokratische Partei auf das dreigliedrige Schulsystem und die
christliche Gemeinschaftsschule als Regelschule, in der der Religionsunter-
richt nach Konfessionen getrennt erteilt werden sollte. Daneben konnten auch
Bekenntnisschulen weiter betrieben und – theoretisch – weltliche Schulen
eingerichtet werden. Bis zum Erlass eines Reichsschulgesetzes aber galt eine
Sperrklausel, die den Status quo festschrieb. Das Reichsschulgesetz kam nie
über das Entwurfsstadium hinaus. Die Möglichkeiten einer fortschrittlichen
Bildungspolitik in den Ländern waren daher sehr beschränkt.
Minna Fasshauer, die Volksbildungsministerin der ersten nach der Revo-
lution gebildeten Braunschweigischen Regierung, schaffte die geistliche Auf-
sicht über das Volksschulwesen ab, an der religiösen Ausrichtung des Unter-
richts änderte sich aber erst einmal nichts. Dennoch war Minna Fasshauer
das rote Tuch für Kirche und bürgerliche Parteien: Sie wurde als „Flaschen-
spülerin“ und „Dienstmädchen“ diffamiert.
Streiks, Unruhen, Arbeitslosigkeit und reaktionäre Putschversuche über-
schatteten die erste Zeit nach der Revolution und ließen für schulreforme-
rische Pläne keinen Raum, obwohl im Land Braunschweig Linkssozialisten
von Mai 1920 bis Mitte 1922 die Regierungen stellten. Doch die Arbeiter-
parteien rieben sich in politischen Auseinandersetzungen auf: Die Sozial-
demokratie war in „unabhängige“ (USPD) und „mehrheitliche“ (MSPD)
geteilt, von der jungen KPD hatte sich im Frühjahr 1920 die KAPD abgespal-
ten. Ein Teil der USPD schloss sich im Herbst 1920 der KPD an. Darunter
war auch der Volksbildungsminister.
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Der 27-jährige Lehrer Hans Sievers hatte im Juni 1920 sein Amt als
braunschweigischer Volksbildungsminister angetreten und die Schulfrage wie-
der aufgenommen. Sein Kulturerlass vom 14.9.1920 enthielt Ausführungs-
bestimmungen zum Artikel 148 der Reichsverfassung über die Erziehung im
Geiste der Völkerversöhnung: Lehrpläne und Lehrbücher sollten umgestaltet,
die Fürstenbilder aus den Schulräumen entfernt werden.
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Nach nur vier-
monatiger Amtszeit trat er am 23. Oktober 1920 wegen seines Parteiwechsels
zurück.
Der 1893 in Hamburg geborene Sievers hatte noch vor Beginn des Ersten
Weltkrieges seine Ausbildung beendet und war 1916 aus dem Lazarett in den
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Bernd Rother, Die Sozialdemokratie im Land Braunschweig 1918 bis 1933, Bonn 1990, S. 119 ff.
3
Sozialistischer Erzieher (SE), Nr. 11/12, 25.7.1922, S. 212 ff.