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Die aktive Rolle, die die Braunschweiger Lehrergewerkschaft spielte, und
der Umstand, dass das Land Braunschweig noch eine linkssozialistische
Regierung hatte, bewogen den Gesamtverband, seinen Vertretertag am 8./9.
Oktober 1921 nach Braunschweig zu verlegen.
Am Vortag hatte in Braunschweig bereits die 1. Reichskonferenz kom-
munistischer Lehrer Deutschlands stattgefunden. Dabei waren die Braun-
schweiger Lehrergewerkschafter Ernst Winter, Hans Sievers, Leo Regener,
Heinrich Rodenstein und Hermann Ahlbrecht.
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Sie beschlossen Leitsätze,
in denen es unter anderem hieß: „Die Freie Lehrergewerkschaft Deutsch-
lands muss in schärfsten Gegensatz zu allen ‚neutralen‘, christlichen und
nationalen Vereinen auf den Boden des entschiedenen Klassenkampfes
gebracht werden.“
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Der „neutrale“ Verein im Land Braunschweig war der 1850 gegründete
Landeslehrerverein. Das Gros seiner über 1500 Mitglieder befürwortete die
christliche Gemeinschaftsschule und war bereit, einen von der Kirche nicht
beaufsichtigten Religionsunterricht zu erteilen.
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Auch 23 Freigewerkschafter
waren zugleich Mitglieder im Lehrerverein. Doch dieser diskutierte 1921
einen neuen Satzungsentwurf und verabschiedete ihn Anfang Oktober, eine
Woche vor dem Treffen der sozialistischen Lehrer. Nach der neuen Satzung
war der Lehrerverein zugleich eine Berufsgewerkschaft, und die Mitglied-
schaft in einer anderen Gewerkschaft wurde ausdrücklich ausgeschlossen.
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Ende 1921 diskutierten die Lehrergewerkschafter ihre Stellung zum Leh-
rerverein.
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Die SPD-Mitglieder Alpers und Rieke sprachen sich für die Wei-
terarbeit im Lehrerverein aus, Riekes Antrag auf Wiederbelebung der alten
Arbeitsgemeinschaft (und damit Austritt aus der Freien Lehrergewerkschaft)
wurde abgelehnt. Der USPDler Gustav Günther und der Noch-Kommunist
Hans Sievers betonten die Notwendigkeit der Freien Lehrergewerkschaft als
selbstständiger Organisation. Die Neuwahlen zum Landesvorstand zeigten,
dass sich die Gewerkschaft links positionierte: Hermann Ahlbrecht und Hans
Sievers gehörten der KPD an, Gustav Günther und Walter Jorns der USPD,
Otto Alpers der SPD.
Der Lehrerverein vermerkte im Jahresbericht 1922: „Die Gründung der
Freien Lehrergewerkschaft bewirkte den Austritt von 23 Kollegen.“
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Die
neue Satzung hatte sie dazu genötigt, aber die jungen Freigewerkschafter trau-
21
Teilnehmerliste in BBF, Rege 1; Sievers verließ Mitte 1922 die KPD, Regener 1924; Rodenstein
wurde 1929, Ahlbrecht 1930 ausgeschlossen. Vgl. Matthias Hinze, Zur Geschichte der Braunschwei-
ger Kommunistischen Parteiopposition (KPD-O). In: DGB-Region Süd-Ost-Niedersachsen (Hrsg.),
Die Rieseberghäuser. Synonyme für Glanz und Leiden der Braunschweiger Arbeiterbewegung
(Regionale Gewerkschaftsblätter, Heft 24), Braunschweig 2005.
22
SE, Nr. 3, 10.2.1922, S. 61.
23
Schulblatt für Braunschweig und Anhalt. Vereinsorgan d. Braunschweigischen Landes- und Anhal-
tischen Lehrervereins (Schulblatt), Nr. 29/30, 21.10.1921, S. 509.
24
Schulblatt, Nr. 29/30, 21.10.1921, S. 495 ff.
25
SE, Nr. 2, 25.1.1922, S. 51 f.
26
Schulblatt 29/30, 21.10.1922, S. 466.