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erten den „Rauschebärten“
27
des Lehrervereins nicht nach. „Mag der Landes-
lehrerverein auch heute noch glauben, auf Grund seiner Mitgliederzahlen eine
Größe im öffentlichen Leben darzustellen, ideologisch reicht sein Einfluss
kaum über den Kreis seiner Mitglieder hinaus“
28
, schrieb Leo Regener 1929
im Rückblick auf die Arbeit der vergangenen Jahre.
In der ersten Hälfte des Jahres 1922 schien es, als hätte die kleine Lehrer-
gewerkschaft tatsächlich entscheidenden Einfluss auf die braunschweigische
Schulpolitik.
Sie wurde als Berufsvertretung offiziell vom Staatsministerium anerkannt,
die Gewerkschaften luden sie zu gemeinsamen Sitzungen ein, und sie stellte
bei Kundgebungen Redner.
Im November 1921 war Otto Grotewohl Volksbildungsminister geworden.
Der Grotewohlsche Schulerlass vom 18. März 1922, der in den gemeinsamen
Sitzungen der Parteischulausschüsse detailliert vorbereitet worden war
29
,
beschränkte zur „Vermeidung religiöser Beeinflussung“ Gebete, Andachten
und religiöse Feiern auf den Religionsunterricht.
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Wütende Angriffe der bür-
gerlichen Presse und der evangelischen Elternbünde, gar die Drohung eines
Schulstreiks, begleiteten diesen – in den Augen der Nachwelt – eher modera-
ten Erlass.
Doch dann beging die evangelische Landeskirche einen folgenschweren
Fehler. Im Frühjahr 1922 – der Brotpreis war bereits auf über 12 RM gestie-
gen – erhob sie erstmalig eine Landeskirchensteuer in Höhe von 15%.
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Der
Freidenkerverband sah seine Stunde gekommen und organisierte Versamm-
lungen und Kundgebungen. Das Amtsgericht Braunschweig erklärte, es könne
in seinen Dienstzeiten die Flut der Austrittserklärungen nicht mehr bewäl-
tigen.
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Insbesondere die sozialistischen Lehrer, in vorderster Front Walter Jorns
und Gustav Günther, gingen im April 1922 auf Tournee durch das Land und
agitierten für Kirchenaustritt und Freidenkerverband: Schwerpunkt war neben
Dörfern rund um Braunschweig (von Gliesmarode bis Thiede) die Harzregion
mit Blankenburg, Timmenrode, Oker und Wolfshagen.
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Die „Freiheit“, die
Zeitung der USPD, frohlockte im Mai 1922 angesichts von über 22.000 Aus-
tritten in der Stadt Braunschweig: „Der Zusammenbruch der Kirche steht
bevor“.
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27
BBF, Rege 62, Regener an Grotewohl, 10.3.1962.
28
Leo Regener: Aus 10 Jahren Braunschweiger Schulpolitik, in: Der Volkslehrer (VL) Nr. 6,
17.3.1929, S. 63.
29
SE, Nr. 49/50, 25.12.1921, S. 664; s. a. Vf, 18.11.1921
;
Freiheit, 19.11.1921.
30
Theodor Geiger (Hg.), Das Recht der Volks-, Mittel- und Berufsschulen im Freistaat Braunschweig:
Quellentexte mit Erläuterungen, Braunschweig 1930, S. 70.
31
Dietrich Kuessner, Landesbischof D. Alexander Bernewitz 1863 – 1935. Vom Baltikum nach
Braunschweig, Büddenstedt 1985, S. 57.
32
Freiheit, 14.3.1922.
33
Freiheit, diverse Berichte im April 1922.
34
Freiheit, 12.5.1922.