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den Korridoren stehen zu dürfen, bis die Andachten vorbei waren. Ebenso
erging es den dissidentischen Lehrern, die allmorgendlich ihre Klassen verlas-
sen mussten, bis christliche Kollegen, die sich dazu bereit fanden, darin gesun-
gen und gebetet hatten.“
38
Der Landeslehrerverein betonte, mit dem Erlass könnten keine neuen
evangelischen Bekenntnisschulen etabliert werden. Tatsächlich aber war er
abgestimmt auf den kirchenfreundlichen zweiten Entwurf des Reichsschulge-
setzes (Entwurf Schiele)
39
.
Am 19. November 1925, dem Bußtag, den die Arbeiterparteien gerne für
antiklerikale Veranstaltungen nutzten, sprach der SPD-Politiker und Stadt-
schulrat von Berlin-Neukölln, Kurt Löwenstein
40
, im überfüllten Saal des
Sächsischen Hofes über den Reichsschulgesetzentwurf. Es sei jetzt Aufgabe,
dafür zu sorgen, dass bei Inkrafttreten des Gesetzes „schon viele weltliche
Schulen da sind“, da christliche Gemeinschaftsschulen neben den Bekennt-
nis- und Weltanschauungsschulen keine Rolle mehr spielen würden. Richard
Voigt, zu diesem Zeitpunkt noch Mitglied im Landeslehrerverein, schilderte
das Versagen der Braunschweiger Lehrerschaft im Kampf gegen den Erlass.
Es sei zu keiner Zusammenarbeit der Erlassgegner mit dem Landeslehrerver-
ein gekommen, da dieser sich zwar verbal für die Gemeinschaftsschule ausge-
sprochen habe, aus Neutralitätsgründen aber ein Bündnis ablehnte.
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Auch
Kuno Rieke, wie Richard Voigt bisher Verfechter der Gemeinschaftsschule,
sprach sich für „gute weltliche Schulen“ aus.
Somit waren nicht nur die Lehrergewerkschafter, sondern auch die gemä-
ßigten SPD-Schulpolitiker in Konfrontationskurs zum Landeslehrerverein
geraten. Am 3. Dezember 1925 wurde in einem relativ kleinen Kreis der
Weltliche Elternbund ins Leben gerufen; das Referat hielt der Lehrergewerk-
schafter Gustav Günther.
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Die Gründung des Landesverbandes des Weltlichen Elternbundes erfolgte
am 18. Januar 1926. Vorsitzende wurde Hedwig Lube, ihr Stellvertreter der
Lehrer Richard Voigt.
43
Wenige Tage später begann der Verband, mit dem
Ministerium über die Einrichtung weltlicher Schulen zu verhandeln. Der
Elternbund hatte durchaus Gewicht, einen Monat nach Gründung zählte er
bereits 3000 Mitglieder.
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Der Zuspruch fegte auch die letzten Bedenken hin-
weg, und der Ehemann der Vorsitzenden, der Arzt Dr. Friedrich Lube, kons-
tatierte im Volksfreund: „Damit ist bewiesen, dass die Idee der weltlichen
38
Der Volkslehrer (VL), Nr. 6, 17.3.1929 (Leo Regener: Aus 10 Jahren braunschweigischer Schul-
politik).
39
Geiger (wie Anm. 30), S. 35 ff. Der deutschnationale Politiker Schiele war vom 15. Januar bis 23.
Oktober 1925 im Kabinett Luther Reichsinnenminister.
40
Löwenstein war u.a. auch Vorsitzender der Kinderfreunde Deutschlands und der Arbeitsgemein-
schaft sozialdemokratischer Lehrer und Lehrerinnen Deutschlands (AsL).
41
VF, 20.2.1926, Artikel von R. Voigt „Die freie weltliche Schule“.
42
VF, 4.12.1925.
43
VF, 19.1.1926.
44
VF, 20.2.1926.