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einheitliche Gruppe von Jugendlichen gehandelt habe, die in den Kriegsjahren
in Braunschweig durch oppositionelles Verhalten bis hin zu Widerstandsakten
aufgefallen sei. Grundlage dieser Hypothese waren Berichte des General-
staatsanwalts von Braunschweig, Willy Rahmel, an den Reichsjustizminister
über Verwahrlosungserscheinungen bei Jugendlichen.
In einem Bericht vom 2. Februar 1943 berichtete er von Jugendbanden, die
planmäßig Vieh und Werkzeuge stahlen und Frauen überfielen, um sie auszu-
rauben. Er resümierte dann: „Ich habe diese Einzelfälle näher geschildert, um
zu zeigen, dass die Verwahrlosungserscheinungen stark im Zunehmen begriffen
sind. Ihnen müsste durch stärkere Heranziehung der Jugend zur Schule, zum
HJ-Dienst oder zu anderem sozialen Ehrendienst entgegengewirkt werden.
Dabei ist bekannt, dass die HJ-Führung ernsthaft bestrebt ist, solche Missstände
zu unterbinden, dass ihre Aufgabe aber durch den Mangel an geeigneten Füh-
rern sehr erschwert ist. Es wäre zu erwägen, ob nicht durch stärkere Heranzie-
hung geeigneter Lehrkräfte als HJ-Führer das Bestreben der HJ unterstützt
werden könnte. Der Grundsatz, Jugend werde am besten durch Jugend geführt,
mag in normalen Zeiten seine volle Berechtigung haben; Ausnahmezeiten, wie
eben die Kriegszeiten sind, erfordern besondere Maßnahmen.“
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Tatsächlich waren die HJ-Führer, die direkt mit den jungen Leuten zu tun
hatten und nicht nur als höhere Chargen pathetische Reden hielten, zum
Kriegsdienst eingezogen worden. Die Akademie für Jugendführung in Braun-
schweig an der Wolfenbütteler Straße z.B., die Führungskräfte der HJ ausbil-
den sollte, war 1939 geschlossen worden und nahm erst 1942 ihren Betrieb
wieder auf, um jugendliche Kriegsversehrte zu schulen, die der nachlassenden
Attraktivität der HJ unter den Jugendlichen begegnen sollten. Dieser Versuch
war ein Tropfen auf den heißen Stein, der HJ-Dienst blieb eintönig und trost-
los, erschöpfte sich in vormilitärischer Ausbildung und Propaganda. Fahrten
fanden nicht mehr statt. Der Vorschlag des Generalstaatsanwaltes, Lehrer als
HJ-Führer zu benutzen, konnte nicht ernsthaft erwogen werden, denn auch
die verbliebene Lehrerschaft war durch den Abzug jüngerer Lehrkräfte für
den Kriegsdienst stark überaltert.
Betroffen von den so genannten Verwahrlosungserscheinungen waren
Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren, die noch keinen Kriegsdienst leisten
mussten, jedoch schon für Hilfsdienste herangezogen wurden. Ab 1943 hat-
ten 15-jährige Jugendliche Mittel- und Oberschüler als Flakhelfer zu dienen
und konnten 17-jährige zum Kriegsdienst eingezogen werden.
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Im Februar 1943 hatte Rahmel nur von kriminellen Jugendlichen berich-
tet. Nach einem Vortrag von Oberregierungsrat Dr. Kümmerlein am 10. Feb-
ruar 1943 in Braunschweig, der über verschiedene Formen von Jugend-
opposition im Deutschen Reich referiert hatte, informierte der Generalstaats-
anwalt sich, ob dergleichen auch in Braunschweig zu beobachten sei und
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Bundesarchiv Koblenz R22/3357; Lagebericht vom 10.2.1943.
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Reinhard Bein (wie Anm. 2), S.226ff.