118
berichtete darüber am 26.5.1943 und am 21.9.1943 dem Reichsjustizminister.
Zunächst nahm er sich Jugendliche vor, die von ihm als „Hottjungen“ bezeich-
net wurden. „Die angelsächsisch-jüdische oder auch Hamburger Richtung ist
unter den Schülern einer höheren Schule in Braunschweig in Erscheinung
getreten. Einige Schüler dieser Schule haben nicht nur Verkehr mit auslän-
dischen, insbesondere tschechischen Friseuren und Kellnern gesucht und
unterhalten, sondern auch Verbindung mit Hamburg aufgenommen. In ihrem
Auftreten und Benehmen geben sie sich den Anschein, als seien sie Studenten,
sie verkehren in anrüchigen Lokalen und unterhalten intimen Verkehr mit
Tänzerinnen und Barmädels, mit denen sie Zechereien veranstalten. Bei der
übrigen Jugend führten sie die Bezeichnung ‘Hottjungen’, nach einer Künst-
lerkapelle, die in einem der anrüchigen Lokale eine Zeit lang Konzerte gab.“
5
Rahmel weiß aber nur von dieser einen Schule zu berichten, weil zwei
Schüler einen Raubüberfall verübt hatten, der das Sondergericht beschäftigte.
Die Gestapo hätte ihm weitere Cliquen nennen können, aber zwischen
Gerichten und Gestapo herrschte Konkurrenz. Der Gestapo waren die
Gerichte „zu schlapp“. Wer ihr auffiel, wurde verhört, zusammengeschlagen,
und wenn die Geständnisse unter Folter reichten, in der Regel in ein „Sonder-
erziehungslager“ überführt, selten der Justiz übergeben.
Von einer Clique, wie sie Rahmel skizzierte, berichtete der Journalist Die-
ter Diestelmann 1999 in der „Braunschweiger Zeitung“: „Man begrüßte sich
mit ‘Barcelona’, das war die Erkennungsmarke für Eingeweihte. Wer konnte,
trug einen dunkelblauen Mantel, flauschig, mit breitem Gürtel, dazu schweins-
lederne Handschuhe, in die Hand zu nehmen. Natürlich weißer Schal, Haare
länger als die Partei erlaubte. Vorbilder waren Filmleute wie Hans Söhnker,
die bewusst lässig taten. Wir waren Stenze, Durchschnittsalter etwa 16 Jahre.
Als Stenz gab man sich unglaublich lässig, liebte Hot und Swing – weshalb uns
manche völlig unsinnig auch ‘Tangojünglinge’ nannten – und lehnten es brüsk
ab, ‘zackig’ zu sein, wie das Regime es von seiner Jugend forderte… So
schlenderten wir – meistens in Gruppen – den Bohlweg entlang, der auch
damals Flaniermeile war, schauten in der ‘Eiko’, der Eiskonditorei des Ambregio
Gei, eben mal so nach ‘Miezen’ oder ‘Girls’ und prüften, was sich denn wohl
bei Börner tat. ‘Börner am Bohlweg’ war ein großes Konzert-Café, ungefähr
dort, wo jetzt der Eingang zur Schlosspassage ist. Hier gastierten die großen
und damals mehr oder weniger bekannten Kapellen – Big Bands würde man
heute sagen. Da saßen wir denn bei Bier-Ersatz, dem ‘Molkebier’, oder Kakao-
Ersatz oder Kaffee-Ersatz und lauschten ihnen…
Abends in das Börner zu gehen, konnte gefährlich sein. Man musste sich vor
dem Streifendienst der Hitlerjugend hüten. Am Tage waren die Streifendienstler
harmlos. So konnte es geschehen, dass wir auf der Straße vor ihnen scheinbar
devot die Hüte zogen – Hut war für den Stenz obligatorisch – und mit tiefer
5
Bundesarchiv Koblenz R22/3357; Lagebericht vom 26.5.1943.