Seite 39 - Lebenswege

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Karl Liedke
Das KZ-Außenlager SS-Reitschule in
Braunschweig 1944 – 1945
Einleitung
„Am 18. Dezember, in den Morgenstunden, fand die nächste Selektion statt.
Vera und ich haben uns versteckt. Am Nachmittag gab es wieder eine Selek-
tion. Wir verließen unser Versteck. Man wusste natürlich nicht, was man da
tun sollte, welcher Transport besser oder schlechter war. Wir beide hatten
kein Glück: wir kamen nach Braunschweig.“
1
Die aus Jugoslawien stammende Jüdin Eva Timar, damals 18 Jahre alt,
gehörte zu den ersten weiblichen Häftlingen, die Mitte Dezember 1944 mit
dem (wahrscheinlich) ersten Transport aus dem KZ Bergen-Belsen in das
Außenlager „SS-Reitschule“ in Braunschweig verlegt wurden. Zu den Beson-
derheiten dieses Außenlagers, das dem KZ Neuengamme unterstand, zählt
die vergleichsweise kurze Bestandsdauer sowie der Umstand, dass die weib-
lichen Häftlinge dort nicht in der Rüstungsindustrie zum Einsatz kamen, son-
dern schwere Enttrümmerungs- und Aufräumarbeiten für kommunale Behör-
den verrichten mussten.
Bislang war das Außenlager „SS-Reitschule“ in Braunschweig noch nicht
Gegenstand der historischen Forschung. Außerdem waren die ohnehin spär-
lichen Informationen in der Fachliteratur nicht frei von Widersprüchen und
sind teilweise als ungenau zu korrigieren.
2
Die Hauptursache dafür scheint die
Tatsache zu sein, dass kaum amtliche Dokumente überliefert sind, die über
die Geschichte dieses Lagers Aufschluss geben können.
3
Ein paar Informati-
1
Bericht von Eva Timar, in: Stiftung nds. Gedenkstätten Celle, Archiv der Gedenkstätte Bergen-Bel-
sen (weiter: Timar). Bei der im Bericht erwähnten „Vera“ handelt es sich um Vera Obradovic, s.
Anm. 25. Diesen und andere Berichte, die sich im Archiv der Gedenkstätte Bergen-Belsen befinden,
hat Bernd Horstmann dem Autor zur Verfügung gestellt.
2
Der Autor hat am 25.4.2001 ein Schreiben von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme bekommen, in
dem u.a. zu lesen ist: „Dieses Außenlager [die SS-Reitschule – K. L.] bestand – nach dem heutigen
Forschungsstand – vom 16.1.1945 bis zum 18.2.1945 und war bis jetzt nur im geringfügigen Maße
Gegenstand von historischen Forschungsarbeiten“.
3
Darauf weisen auch negative Resultate der vom Autor durchgeführten Archivrecherchen hin. Eine
Ausnahme bilden hier Eintragungen im Sterberegister des Standesamts Braunschweig und ein von
einem örtlichen Bestattungsunternehmen angefertigtes Verzeichnis mit Angaben über die Anzahl
der aus dem KZ-Außenlager SS-Reitschule in das Krematorium transportierten Leichen. Beide
Verzeichnisse sind nicht vollständig. Vgl. Anm. 88 und 89.