Seite 46 - Lebenswege

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verwischte die Unterschiede zwischen Nationalsozialismus und Kommunis-
mus und räumte neuen Bedrohungsszenarien Vorrang ein.
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Erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts wandelte sich die Erinnerungs-
kultur allmählich. Antisemitische Skandale und Hakenkreuzschmierereien
verwiesen auf die „unbewältigte Vergangenheit“, ein Generationswechsel öff-
nete den Blick auf zunehmend als skandalös empfundene personelle und ins-
titutionelle Kontinuitäten zur NS-Zeit. Der Frankfurter Auschwitzprozess
1964 war ein bundesweit beachteter Höhepunkt einer wiederaufgenommenen
justiziellen Ahndung von NS-Verbrechen und ein weiterer Schritt zur sich
entwickelnden „Vergangenheitsbewältigung“, die eine neue Phase des
Umgangs mit den NS-Verbrechen charakterisierte.
Die öffentliche Erinnerungskultur in den ersten Jahren der Bundesrepub-
lik galt vor allem den „eigenen“ Toten, und das hieß Totengedenken an die
gefallenen Soldaten und die zivilen Kriegsopfer. Motive der Totenehrung, des
Leidens, Trauerns und Tröstens überwogen bei der Gestaltung von Gedenk-
orten. Informationen über die historischen Ursachen des Sterbens wurden
ausgespart. Doch in Abkehr zur überlieferten Form der Kriegerehrung verbot
sich das Herausstellen des Heldenhaften. In der Formensprache knüpfte man
an die Tradition an. Die christliche Ikonografie dominierte bei den Denkmal-
setzungen. Figürliche Darstellungen folgten der klassischen Moderne mit
Vorbildern wie Ernst Barlach, Käthe Kollwitz, Gerhard Marcks und Wilhelm
Lehmbrück.
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Erinnerungsorte an die Opfer der Gewaltherrschaft wurden am ehesten an
den jeweiligen Begräbnisstätten und an den herausragenden Orten der NS-Ver-
brechen wie den früheren Konzentrationslagern geschaffen. Von alliierten Stel-
len und überlebenden Verfolgten gingen erste Initiativen zur Errichtung von
Mahnmalen aus. Ihr Anliegen war die Totenehrung, aber auch der Appell für
die Gegenwart. Hierbei waren christliche Symbolisierungen verbreitet. Das
Bedürfnis nach Denkmalsetzungen wuchs mit dem gleichzeitigen Verschwin-
den der baulichen Überreste der Lager. Die ersten Mahnmale in der Bundes-
republik waren in ihren Dimensionen bescheidene Zeichen des Gedenkens und
gaben wenig Auskunft über das verbrecherische Geschehen.
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1
Norbert Frei, Vergangenheitspolitik, München 1996. Derselbe, 1945 und wir. Das Dritte Reich im
Bewusstsein der Deutschen, München 2005, insb. S. 23 – 40. Hannah Arendt, Besuch in Deutsch-
land 1950. Die Nachwirkungen des Naziregimes, in: dieselbe, Zur Zeit. Politische Essays, Berlin
1986. Edgar Wolfrum, Die beiden Deutschland, in: Volkhard Knigge, Norbert Frei, Verbrechen
erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, München 2002, S. 133 – 149.
Jeffrey Herf, Zweierlei Erinnerung. Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland, Berlin 1998,
S. 317 – 394.
2
Peter Reichel, Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisort im Streit um die nationalsozialistische Ver-
gangenheit, Frankfurt/Main 1999, S. 31 – 87.
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Reichel (wie Anm. 2), S. 99 – 146. Detlef Hoffmann (Hg.), Das Gedächtnis der Dinge. KZ-Relikte
und KZ-Denkmäler 1945 – 1995. Frankfurt / New York 1998. Insa Eschenbach, Öffentliches
Gedenken. Deutsche Erinnerungskulturen seit der Weimarer Republik. Frankfurt / New York
2005.