Seite 47 - Lebenswege

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Der Umgang mit den „Hinterlassenschaften“ der NS-Diktatur im Braun-
schweig der Nachkriegsjahre ist bislang noch wenig erforscht. Weder über die
Verfahren der Entnazifizierung noch über die Entschädigung der Opfer der
Verfolgung gibt es systematische Untersuchungen. Nur die gerichtliche Auf-
arbeitung der NS-Verbrechen wurde bereits zum Thema der Forschung.
Werner Sohn arbeitete 2003 anhand von Überblicksdarstellungen über
Ermittlungsverfahren und Prozesse sowie durch die Beschreibung ausgewähl-
ter Strafverfahren wie dem gegen den früheren Ministerpräsidenten Klagges
heraus, dass es nach Kriegsende die Bereitschaft und die Möglichkeit zur
strafrechtlichen Verfolgung von NS-Tätern durchaus gab, diese aber nach der
Gründung der Bundesrepublik auch in Braunschweig weitgehend zum Still-
stand kam.
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Ein einzelnes Gerichtsverfahren Anfang der 1950er Jahre hat
darüber hinaus große Aufmerksamkeit auf sich gezogen: das von Fritz Bauer
als kurzzeitigem Braunschweiger Generalstaatsanwalt eingeleitete Verfahren
gegen den rechtsradikalen Versammlungsredner Remer, in dem es um die
rechtliche Würdigung des Widerstands des 20. Juli 1944 ging. In der Histo-
riographie ist dieses Verfahren als erinnerungspolitisch bedeutsame Abgren-
zung gegenüber dem Rechtsradikalismus gewertet worden.
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Eine vergleichende Untersuchung der Errichtung der frühen Gedenkstät-
ten für NS-Opfer in Braunschweig war hingegen noch nicht Gegenstand
detaillierterer Untersuchungen. Bisherige Darstellungen wollten entweder eine
Bestandsaufnahme städtischer Erinnerungspolitik seit Ende des Zweiten Welt-
kriegs zeichnen, oder bei der Vorstellung einzelner Gedenkorte ihr Entstehen
skizzieren und beschränkten sich auf die Analyse einzelner Mahnmalset-
zungen.
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Hier setzt der folgende Beitrag an. Er will das Entstehen der eingangs
genannten Gedenkstätten beschreiben, die Akteure dieser Prozesse benennen,
die politischen Rahmenbedingungen in der Stadt skizzieren, fragt nach den
Inhalten und der Formsprache des Gedenkens, der Übergabe der Denkmale
an die Öffentlichkeit und nach dem Widerhall in der öffentlichen Wahrneh-
mung. Dabei kann ein Anspruch auf Vollständigkeit schon angesichts der
fragmentarischen Quellenlage nicht erhoben, doch eine erste Beschreibung
4
Werner Sohn, Im Spiegel der Nachkriegsprozesse: Die Errichtung der NS-Herrschaft im Freistaat
Braunschweig, Braunschweig 2003.
5
Norbert Frei, Vergangenheitspolitik, München 1996, S. 326 – 360. Claudia Fröhlich, Fritz Bauer –
Ungehorsam und Widerstand sind ein „wichtiger Teil unserer Neubesinnung auf demokratische
Grundwerte“, in: dieselbe / Michael Kohlstruck (Hg), Engagierte Demokraten, Münster 1999,
S. 106-120.
6
Martina Staats, Erinnern heißt Vergessen? Die fünfziger Jahre und nationalsozialistische Verbre-
chen, in: Rieseberg-Forum 1997 (Regionale Gewerkschaftsblätter 9), Braunschweig 1998, S. 22-30.
Ernst-August Roloff: Erinnern – Trauern – Verdrängen? Gedanken über Gedenken und Denkmä-
ler in Braunschweig. Braunschweig 1998. Kulturinstitut der Stadt Braunschweig (Hg.), Konzept zur
Planung, Errichtung und Gestaltung städtischer Erinnerungsstätten zur nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft, Braunschweig 200. Braunschweigische Landschaft e.V., Topographie der Erinne-
rung, Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus im Gebiet der Braunschweigischen
Landschaft, Braunschweig 2004.