Seite 8 - Lebenswege

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schaft deutlich, dass die Zustimmung zum Nationalsozialismus zu diesem
Zeitpunkt nur von einem Teil der Gesellschaft getragen wurde. Gerade wenn
man den hohen Grad an politischer Polarisierung zum Beginn der NS-Herr-
schaft feststellt, ist es inzwischen ebenso interessant zu untersuchen, wie sich
die Integration großer Bevölkerungsteile in den Folgejahren der Diktatur ent-
wickelt hat und wodurch diese gefördert wurde.
Überregional hat diese Fragestellung in der Fachdiskussion der letzten
Jahre eine große Rolle gespielt. Aus dem Diktaturenvergleich war die sichere
Erkenntnis entstanden, dass sich die Bevölkerung dem NS-Regime – anders
als in der DDR – nicht durch den Rückzug in eine vorpolitische, private
„Nischengesellschaft“ entzog, sondern dass die Nationalsozialisten auf eine
hohe Mobilisierung und Selbstmobilisierung der Gesellschaft rechnen konn-
ten. Über das Funktionieren dieser Integration der Gesellschaft wird bislang
kontrovers diskutiert. Von Goldhagens „Hitlers willige Vollstrecker“ zu Götz
Alys „Gefälligkeitsdiktatur“, die die sozialpolitische Partizipation breiter
Bevölkerungsschichten an der staatlichen Ausplünderung der Juden in den
Blickpunkt rückt, reichen die Anlässe zur Diskussion. Aktuell stößt Frank
Bajohrs Charakterisierung des NS-Systems als „Zustimmungsdiktatur“ auf
positive Aufnahme: Bajohr vernachlässigt die diktatorischen Elemente nicht,
verweist aber auch auf das bis in die Kriegszeit wachsende Maß an gesell-
schaftlicher Konsensbereitschaft.
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Es fällt auf, dass diese aktuellen Diskussionen in der populären Darstel-
lung von Braunschweigs Regionalgeschichte noch keine Aufnahme fanden.
Regionalgeschichtliche Forschung wird fast immer von den Kontroversen in
der Fachöffentlichkeit angeregt. Regionale Untersuchungen setzen aber auch
das Vorhandensein bzw. die Zugänglichkeit von Quellen voraus, die das Ver-
folgen der entsprechenden Fragestellungen erlauben. In einer Bestandsauf-
nahme der Forschung zu Braunschweigs Geschichte im Nationalsozialismus
soll im Folgenden deshalb nicht nur ein Beitrag zu einer Einleitung dieser
Veröffentlichung geleistet werden, sondern ebenso die Frage nach der Auf-
nahme der jüngsten Fachdiskussion angesprochen werden.
Zum Stand der Forschung
Die Darstellung der regionalen Geschichte des Nationalsozialismus begann in
Braunschweig mit den Veröffentlichungen von Ernst-August Roloff. Mit
„Bürgertum und Nationalsozialismus 1930-1933“ und „Braunschweig und
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Daniel Jonah Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holo-
caust, Berlin 1996; Götz Aly; Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus,
Frankfurt/Main 2005; Frank Bajohr, Die Zustimmungsdiktatur. Grundzüge nationalsozialistischer
Herrschaft in Hamburg, in: Hamburg im „Dritten Reich“, Göttingen 2005, S. 69 – 121. Frank
Bajohr, Dieter Pohl, Der Holocaust als offenes Geheimnis. Die Deutschen, die NS-Führung und die
Alliierten, München 2006.