Seite 9 - Lebenswege

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der Staat von Weimar“ legte er in den 1960er Jahren die ersten Arbeiten vor,
die die Entwicklung zur frühen Beteiligung der NSDAP an der braunschwei-
gischen Landesregierung beschrieben. Eine wichtige Ergänzung zur Untersu-
chung der politischen Polarisierung zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft
bot Bernd Rothers Geschichte der braunschweigischen Sozialdemokratie in
der Weimarer Republik. Auch die Entstehung der NSDAP fand Beachtung,
wobei Hans-Ulrich Ludewigs Einschätzung von 1996 immer noch gilt, dass
über die Erfolge der Rechtsradikalen im kleinstädtischen und dörflichen Milieu
des Braunschweiger Lands noch wenig Erkenntnisse vorliegen. Auf das Ent-
stehen des politischen Antisemitismus bereits im Kaiserreich macht eine
Arbeit von Hansjörg Pötzsch aufmerksam. Wie die jüngsten Übersichtsdar-
stellungen ebenfalls veranschaulichen, ist die Vorgeschichte der NS-Diktatur
für Braunschweig vergleichweise gut erforscht.
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Eine zweite Feststellung Ludewigs in seinem Bericht über den Forschungs-
stand von 1996, dass eine Gesamtdarstellung der politischen Geschichte der
Jahre 1933 bis 1945 für Braunschweig fehlt, muss weiter aufrecht erhalten blei-
ben, auch wenn der Autor selbst inzwischen einen Überblick in der im Jahr
2000 erschienenen Landesgeschichte formuliert hat. Es fehlt eine detailliertere
Untersuchung der zwölf Regierungsjahre des braunschweigischen Ministerprä-
sidenten Klagges und des Verwaltungshandelns der Landesbehörden in der
NS-Diktatur. Es ist nicht zu bezweifeln, dass das Land Braunschweig eine rela-
tive Autonomie in den Neugliederungsbestrebungen der NS-Diktatur behaup-
ten konnte und Klagges eine „entschiedene“ Landespolitik betrieb. Wie diese
aber aussah, ist bislang nur für einzelne Handlungsbereiche herausgearbeitet.
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Dieser Befund lässt sich ebenso für die Stadt Braunschweig, mit 1940 annä-
hernd 200.000 Einwohnern bei weitem die größte Kommune des Freistaats,
festhalten: Eine Gesamtdarstellung der Stadtgeschichte in den Jahren 1933 –
1945 existiert nicht. Auch wenn die direkte Einflussnahme der Klagges-Regie-
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Ernst-August Roloff, Bürgertum und Nationalsozialismus 1930-1933. Braunschweigs Weg ins Drit-
te Reich, Braunschweig 1961; derselbe, Braunschweig und der Staat von Weimar. Politik, Wirtschaft
und Gesellschaft 1918-1930, Braunschweig 1964. Bernd Rother, Die Sozialdemokratie im Land
Braunschweig 1918 bis 1933, Bonn 1990. Zur NSDAP mit weiteren Literaturhinweisen: Hans-
Ulrich Ludewig, Nationalsozialismus als Protestbewegung, in: Birgit Pollmann (Hg.), Schicht-Protest-
Revolution in Braunschweig 1292 bis 1947/48, Braunschweig 1996, S. 175-196. Hansjörg Pötzsch,
Antisemitismus in der Region. Antisemitische Erscheinungsformen in Sachsen, Hessen und Braun-
schweig 1870-1914. Wiesbaden 2000. Einen Überblick über den Forschungsstand 1996 gibt Hans-
Ulrich Ludewig, Regionalhistorische Forschungen zur NS-Zeit, Braunschweigisches Jahrbuch für
Landesgeschichte, Bd. 78, Wolfenbüttel 1997, S. 249-261. Dort finden sich weitere Hinweise auf
hier in der Regel nicht genannte, etwas ältere Veröffentlichungen. Als jüngere Überblicksdarstellun-
gen vgl. Bernd Rother, Der Freistaat Braunschweig in der Weimarer Republik (1919 – 1933), in:
Horst-Rüdiger Jarck / Gerhard Schildt, Die Braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrück-
blick einer Region, Braunschweig 2000, S. 945-980. Hans-Ulrich Ludewig / Klaus-Erich Pollmann,
„Machtergreifung“ im Freistaat Braunschweig, in: Bernd Ulrich Hucker / Ernst Schubert / Bernd
Weisbrod, Niedersächsische Geschichte, Göttingen 1997, S. 548-565.
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Hans-Ulrich Ludewig, Regionalhistorische Forschungen .... (wie Anm. 3), S. 254, derselbe, Das Land
Braunschweig im Dritten Reich (1933-1945), in: Horst-Rüdiger Jarck / Gerhard Schildt, Die Braun-
schweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region, Braunschweig 2000, S. 981–1024.